Politik muss „wehrhafte Demokratie“ mit Taten füllen

Auch wir Bürger*innen müssen für unsere freiheitliche Grundordnung kämpfen
Auf der Grafik steht: "Der Gesicht Zeigen! Blog!"

Von Sophia Oppermann

Die Ereignisse in Nahost haben die besorgniserregenden Wahlergebnisse in Hessen und Bayern im Oktober in den Hintergrund treten lassen. In beiden Bundesländern gewann die national-völkische AfD Stimmen dazu und landete in Hessen mit 18,4 Prozent auf dem zweiten Platz und in Bayern hinter der CSU und den Freien Wählern von Hubert Aiwanger auf Platz 3 mit 14,6 Prozent.  In beiden Bundesländern ist sie damit die stärkste Oppositionspartei.

Diese Ergebnisse zeigen: Die in Teilen verfassungsfeindliche Partei ist nicht „nur“ ein Ost-Phänomen. Die Zusammensetzung der gerade auf 32 Mitglieder gewachsenen Landtagsfraktion in Bayern gleicht einem Gruselkabinett, 19 der 32 AfD-Abgeordneten stehen dem radikalen Lager des Faschisten Björn Höcke nahe. Bundesweit Aufsehen erregte, dass der jüngste Abgeordnete Daniel Halemba wegen des Verdachts der Volksverhetzung mit Haftbefehlt gesucht und verhaftet wurde. Inzwischen ist er unter Auflagen wieder auf freiem Fuß.

AfD hat es geschafft, mit menschenfeindlichem Programm als „normal“ zu gelten

Zurecht gefeiert wurde zuletzt die Niederlage des AfD-Kandidaten bei den Landratswahlen im Dahme-Spreewald-Kreis (Brandenburg), die ein von allen anderen Parteien unterstützter parteiloser Kandidat gewann. Was man dabei nicht vergessen darf: 35,2 Prozent der Wähler*innen stimmten ja für den Bundestagsabgeordneten Steffen Kotré (AfD), der dem „Flügel“ von Höcke angehörte und schon seit langem mit rechtsextremen Positionen auf sich aufmerksam macht. Mehr als ein Drittel der Stimmen für einen Rechtsextremen – Normalität in Deutschland.  Und dass weniger als die Hälfte der Wahlberechtigten überhaupt ihr Stimmrecht wahrnehmen – ist auch keine Nachricht wert.

Die für unsere Demokratie gefährliche Partei hat es geschafft, mit ihrem menschenfeindlichen Programm als normal zu gelten. Der Verfassungsschutz hat die Bedrohung durch die AfD endlich erkannt und den Landesverbandesin Sachsen-Anhalt als zweiten nach Thüringen als „gesichert rechtsextremistisch“ eingestuft. Das gleiche gilt für die Jugendorganisation Junge Alternative in mehreren Bundesländern.

Was ist zu tun – vor dem Super-Wahljahr 2024?

So viel zur aktuellen Bestandsaufnahme. Doch was ist zu tun? Gerade angesichts des bevorstehenden Super-Wahljahrs 2024, mit Wahlen auf Kommunal- und Landesebene sowie der Europawahl? Wir Bürger*innen wie auch die Politiker*innen müssen JETZT das Konzept der wehrhaften Demokratie mit Taten füllen.

Das bedeutet zum einen, dass alle anderen Parteien sich von der AfD konsequent abgrenzen und die Demokratiefeinde ausgrenzen müssen. Die Gründe dafür haben wir im August erläutert. Zum anderen dürfen Politiker*innen der demokratischen Parteien den öffentlichen Diskurs keinesfalls immer weiter nach rechts verschieben, indem sie rassistische Positionen der AfD übernehmen und Placebo-Politik betreiben, wie es derzeit geschieht. Im Zweifel wird das Original gewählt.

Stattdessen sollten die Regierungen in Bund und auf Länderebene die wirklichen Probleme angehen, ob in der Bildungs- oder Sozialpolitik, bei der Bekämpfung des Klimawandels oder in Fragen der Migrationspolitik.

Das Grundgesetz bietet Instrumente gegen Verfassungsfeinde, nicht nur das Parteiverbot

Zudem sieht auch das Grundgesetz mögliche Maßnahmen gegen Verfassungsfeinde vor, die die Mütter und Väter des Grundgesetztes nach ihren Erfahrungen aus der Weimarer Republik verankert haben.  Einerseits gibt es die Möglichkeit eines Parteiverbotes. Wäre es nicht an der Zeit, dass das Bundesverfassungsgericht in die Lage versetzt wird, die Partei zu verbieten – oder auch nicht. Die politische Entscheidung dazu, diesen Prozess in Gang zu bringen, müssten Bundestag, Bundesrat oder Bundesregierung treffen und den Antrag stellen. Das Verfahren wäre nicht einfach und würde Jahre dauern. Aber die Parteien müssen ihrer Verantwortung und Aufgabe in einer wehrhaften Demokratie nachkommen und den Bürger*innen darlegen, warum die AfD verfassungsfeindlich ist. Diese inhaltliche Arbeit können wir von den demokratischen Parteien verlangen.

Ein mögliches AfD-Verbot würde nichts an der Verbreitung rechter Einstellungen in der Bevölkerung ändern und auch nicht die Neugründung einer anderen Partei verhindern. Durch ein Verbot würden aber die Abgeordneten ihre Mandate verlieren und das Parteivermögen eingezogen. Die Partei wäre nicht mehr zu Wahlen zugelassen. Erwiesene Antidemokrat*innen könnten so daran gehindert werden, die Demokratie mit den Mitteln der Demokratie abzuschaffen.

Ausschluss aus der staatlichen Finanzierung

Ein weiteres Instrument, das der Bundestag nach dem gescheiterten Verbot der NPD schuf, ist die Möglichkeit, verfassungsfeindliche Parteien von der staatlichen Finanzierung auszuschließen. Ob dies Bestand hat, muss das Bundesverfassungsgericht noch entscheiden, ein entsprechendes Verfahren läuft noch. Ein Ausschluss der AfD aus der Parteienfinanzierung würde der Szene Millionen Euro für rechtsradikale und rassistische politische Arbeit entziehen. 2022 erhielt die AfD geschätzt 60 bis 80 Millionen Steuer-Gelder für die Partei sowie für die Fraktionen im Bundes- und in den Landtagen. Immerhin hat der Bundestag mit dem gerade verabschiedeten Stiftungsfinanzierungsgesetz sichergestellt, dass die AfD-nahe Desiderius-Erasmus-Stiftung weiterhin kein Geld vom Staate bekommt.

Bürgerrechte von Verfassungsfeind*innen können eingeschränkt werden

Das Grundgesetz sieht aber auch vor, dass Bürgerrechte von Verfassungsfeind*innen eingeschränkt werden können, wie die Verfassungsrechtlerin Gertrude Lübbe-Wolff kürzlich erläuterte. Dazu müsste der Bundestag, die Bundes- oder eine Landesregierung beim Bundesverfassungsgericht einen Antrag auf Grundrechtsverwirkung nach Artikel 18 Grundgesetz stellen. Die Verfassungsrichter*innen würden dann entscheiden, ob etwa die Rechte des Faschisten Höcke eingeschränkt würden, er das Wahlrecht verlieren würde, oder die Wählbarkeit oder die Befähigung, ein öffentliches Amt auszuüben.

Auch auf anderen Ebenen kann sich die Demokratie wehrhaft zeigen. So sieht beispielsweise das Thüringer Kommunalwahlrecht ausdrücklich vor, dass Verfassungsfeind*innen keine Bürgermeister*innen werden dürfen. Vor der Kommunalwahl im nächsten Jahr hält ein Leitfaden Wahlleiter*innen zum schnellen Handeln an, wenn Extremist*innen kandidieren wollen. Auch das Strafrecht, das Beamten- oder Waffenrecht kann und muss konsequent gegen Rechtsextremisten eingesetzt werden.

Zur wehrhaften Demokratie gehört auch Bildungs- und Präventionsarbeit

Wir sehen:  es gibt durchaus demokratische Mittel, der AfD die antidemokratische Arbeit zu erschweren. Zur wehrhaften Demokratie gehören zudem auch Demokratiebildung und Präventionsarbeit gegen Extremismus. Und zwar nachhaltig und langfristig! Bei vielen der Projekte stehen Kürzungen der staatlichen Zuschüsse an – oder werden zumindest diskutiert. Das darf nicht sein. Wir müssen uns ganz besonders auf diesem Gebiet solide und nachhaltige Arbeit leisten. Die Ampelkoalition hatte zugesichert, dies in einem Demokratiefördergesetz zu sichern. Es lässt weiter auf sich warten.

Auch wir Bürger*innen sind gefordert, die braune Welle zu stoppen

Nicht zuletzt sind wir alle gefragt und gefordert:  wir Bürgerinnen und Bürger müssen unsere Demokratie wehrhaft verteidigen und die Werte unseres Grundgesetzes achten und schützen. Wir müssen jeden Tag erneut aufstehen, nicht müde werden, auf die Straße gehen, laut und streitbar gegen Hass sein, Brücken bauen, wertschätzende miteinander umgehen und vor allem wählen gehen!

Halten wir die braune Welle auf!

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