Heute auch schon fassungslos gewesen über die politischen News? Wir finden die Fassung wieder. Und wir helfen, den Mut nicht zu verlieren!
Hier kommentieren Mitarbeiter*innen von Gesicht Zeigen! aktuelle Themen – und nehmen kein Blatt vor den Mund!
18. September 2023
Immer wieder Thüringen
Thüringen hat ein Problem mit Rechtsextremisten
Von Rebecca Weis
Thüringen hat ein Problem mit Rechtsextremisten. Nirgendwo ist die AfD radikaler und rechtsextremer als dort. Nirgendwo wäre entschiedene Abgrenzung und konsequente Bekämpfung wichtiger als dort.
Stattdessen wird ausgerechnet in Thüringen ein weiterer Schritt getan, der zur Normalisierung und Verharmlosung der Partei beiträgt, die dort von dem Faschisten Björn Höcke geführt wird.
Doch offenbar hat auch die Thüringer CDU und FDP ein Problem zu erkennen, wohin das führt – und das nicht zum ersten Mal. Nix gelernt aus der Causa Kemmerich. Und all das Gerede von der Brandmauer ist obsolet, es gibt sie nicht.
Offensichtlich sind weder CDU noch FDP als konsequente Verbündete im Kampf gegen das Erstarken der Rechtspopulisten zu betrachten. Denn sie sorgen dafür, dass das AfD-Narrativ „man sei eine bürgerliche Partei“, die genau wie alle anderen zu behandeln sei, bestätigt wird.
Ein fatales Signal – sie haben der Demokratie einen Bärendienst erwiesen.
07. September 2023
Causa Aiwanger ist unerträglich
Wenn „Nie wieder“ ernst gemeint wäre, wäre Rücktritt unvermeidlich
Von Rebecca Weis
Seit Tagen verfolgen wir die Vorgänge in Bayern. Es wird jeden Tag schlimmer!
Das antisemitische Flugblatt in übelstem Nazi-Jargon, das vor 35 Jahren in der Schultasche Hubert Aiwangers gefunden wurde, ist unerträglich. Das allein reicht schon aus – es handelt sich eben nicht um einen AfD-Politiker, sondern um den stellvertretenden Ministerpräsidenten eines nicht ganz unwichtigen Bundeslandes. Übrigens im Westen….
Noch unerträglicher aber ist der Umgang des Vorsitzenden der Freien Wähler mit den Vorwürfen: Erst abstreiten, dann scheibchenweise zugeben. Und dann Erinnerungslücken konstatieren, bei einem Ereignis, dass er „einschneidend“ nennt, und das „wichtige gedankliche Prozesse angestoßen“ habe. Sein Antisemitismus ist belegt, es fehlt jede klare Distanzierung.
Dass er sich jetzt als Opfer einer „Hexenjagd“ und einer politischen „Schmutzkampagne“ inszeniert, ist einfach widerwärtig.
Am allerunerträglichsten ist jedoch, dass es ihm gelingt, politisches Kapital aus dem Skandal zu schlagen. Und da sind wir beim Thema Antisemitismus in Deutschland. Denn sein Verhalten kommt gut an bei seinen Anhängern in Bayern. Der Wahlkampf vor den Landtagswahlen am 8. Oktober geht weiter, als wäre nichts gewesen. Die Zustimmung zu den Freien Wählern hat in der jüngsten Umfrage sogar zugenommen.
Der Vizepräsident des Auschwitz-Komitees, Christoph Heubner, warnt vor dem „politischen Flurschaden“, den Aiwanger mit seinen „egomanischen Redereien“ weiter anfache. Dass Aiwanger behauptete, er solle politisch „vernichtet“ werden, sei für Überlebende des Holocaust eine „unerträgliche“ Formulierung.
In einem Land, das es mit dem #niewieder ernst nehmen würde, hätte jeder einzelne Skandal, der in den vergangenen Tagen über Aiwanger bekannt wurde, zum sofortigen Rücktritt führen müssen. Und wenn der Amtsinhaber sich dem verweigert, hätte Ministerpräsident Söder ihn entlassen müssen. Auch hier Fehlanzeige. Söder hat keine Haltung gezeigt, sondern aus purer Wahltaktik gehandelt. Wie schäbig!
24. August 2023
Abgrenzen und Ausgrenzen
Ursachen des Rechtsrucks und Gegenstrategien
Von Charlotte Langenkamp
Zu kurz greifen die meisten Analysen, in denen händeringend um Erklärungen für den Rechtsruck und die Wahlerfolge der AfD gesucht werden. Aus unserer Perspektive ist das Erstarken des Rechtsextremismus nur durch das Zusammenwirken von drei Ebenen erklärbar: Erstens, die gefühlte oder tatsächliche soziale und politische Benachteiligung von einem großen Teil der deutschen Bevölkerung, zweitens der weiten Verbreitung von Ideologien der Ungleichwertigkeit in der Mitte der Gesellschaft und drittens der problematische Umgang von Politiker*innen und Journalist*innen damit.
Wir erleben eine Gleichzeitigkeit von Krisen und damit verbundener großer, ganz realer sozialer Unsicherheit. Dazu kommt, dass viele Deutsche enttäuscht von der Demokratie sind. Wichtig ist zu betonen, dass gerade in Ostdeutschland die allermeisten Menschen die Idee der Demokratie sehr gut finden. Sie sind aber nicht zufrieden mit der Art und Weise, wie sie sie konkret in ihrem Alltag erleben.
- Ein nicht unerheblicher Teil der Bevölkerung fühlt sich also sowohl sozial als auch politisch abgehängt. Ob das Gefühl gerechtfertigt ist oder nicht, ist für die Frage der Gegenstrategien zweitrangig.
- Der Rechtsruck lässt sich aber nur in Verbindung mit Ideologien der Ungleichwertigkeit verstehen. Rassismus, Antisemitismus, Sozialdarwinismus und weitere menschenfeindliche Ideologien sind insbesondere in der Mitte der Gesellschaft weit verbreitet. Das belegen Zahlen aus der Leipziger Autoritarismus Studie: der antisemitischen Aussage „Auch heute noch ist der Einfluss der Juden zu hoch“ stimmen fast ein Drittel der Befragten (29 %) ganz oder teilweiser zu. Die Zahlen zu Rassismus sind noch erschütternder. Die Aussage „Die Ausländer kommen nur her, um den Sozialstaat auszunutzen” lehnt nur ein gutes Fünftel der Befragten (22 %) klar ab. Das heißt im Umkehrschluss, fast 80 % können rassistischen Aussagen zumindest teilweise etwas abgewinnen. Diese Studie ist repräsentativ für die deutsche Bevölkerung!
- Rassistische, antisemitische und andere menschenfeindliche Einstellungen sind konstant weit verbreitet und das seit vielen Jahrzehnten. Die rechtsextreme AfD produziert diese Einstellungen also nicht selbst, sie trägt aber zur Normalisierung bei. Und sie bietet allen, die so denken, eine neue politische Heimat.
Natürlich versuchen die demokratischen Parteien den Aufschwung der AfD zu verhindern. Durch die Übernahme von rechten Parolen gerade in der Frage der Migrationspolitik verstärken sie den Rechtsruck allerdings. Denn in dem Versuch, Wähler*innen zurückzugewinnen, normalisieren sie menschenfeindliche Parolen und bestärken dadurch Menschen in ihren rassistischen Einstellungen.
Auch Teile der Medien sind mitverantwortlich für den Rechtsruck. Wenn die AfD oder einzelne Akteure im wahrsten Sinne des Wortes „dämonisiert” werden, ist das kontraproduktiv. Rechtsextreme zu dämonisieren, ihnen aber gleichzeitig eine Bühne zu bieten und über die erwartbaren menschenverachtenden Aussagen dann überrascht sein, ist schlechtes journalistisches Handwerk und zudem extrem naiv.
Doch natürlich stehen alle Wähler*innen selbst in der Verantwortung. Es sind bewusste Entscheidungen, eine rechtsextreme Partei zu wählen oder rassistische Ressentiments im eigenen Alltag zu dulden.
Abgrenzen oder Ausgrenzen!
Welche Strategie verspricht Erfolg gegen den Rechtsruck? Die Strategie der Eingrenzung, die auf punktueller Kooperation mit der AfD setzt, ist jedenfalls nicht sinnvoll. Sie trägt zur Normalisierung und damit Stärkung der AfD bei. Dazu zählen Kooperationen auf kommunaler Ebene, die Übernahme einzelner inhaltlicher Positionen als Versuch, Wähler*innen zurückzuholen, oder die Einladung von AfD-Politiker*innen in Talkshows oder Interviewrunden.
Viel wichtiger sind Strategien der Abgrenzung, also auf keiner Ebene irgendeine Kooperation mit der AfD einzugehen. Das ist leicht, wenn man klar benennt, was rechtsextrem ist, was rassistisch oder undemokratisch ist, und dadurch die Abgrenzung immer wieder erklärt. Aber diese Strategie meint nicht den kompletten Ausschluss der AfD. Es geht darum, aktiv die Auseinandersetzung, den Streit zu suchen.
Im Gegensatz dazu wird bei der Strategie der Ausgrenzung die AfD aus dem demokratischen Diskurs vollständig ausgeschlossen, weil sie nicht mehr als legitime Partei anerkannt wird. Das ginge z.B. durch ein Parteiverbotsverfahren.
Wichtig ist, die AfD nicht zu unterschätzen
Die Grenzen zwischen Strategien der Ab- und Ausgrenzung können durchaus fließend sein und für beides gibt es gute Gründe. Wichtig ist, sich keine Illusionen zu machen, die AfD nicht zu unterschätzen und vor allen Dingen, nicht auf eine Selbstentzauberung zu hoffen.
Rechtsextreme wollen keine Sachpolitik machen, auch wenn sie anderes vorgeben. Die Unterwanderung von politischen Institutionen und die Instrumentalisierung von Kommunalpolitik sind Strategien, um die Demokratie auszuhöhlen. Dieses strategische Verhältnis zur Demokratie endet für Rechtsextreme, wenn sie die Macht haben, die Demokratie abzuschaffen. Antidemokraten muss man deshalb das Handwerk legen, auch wenn sie noch mit demokratischen Mitteln hantieren.
Auch jede*r Bürger*in ist in der Pflicht
Bei den Strategien gegen den Rechtsruck sind Politiker*innen aber auch die Zivilgesellschaft in der Verantwortung. Rechtsextreme fühlen sich ermutigt, wenn sie glauben, die Bürger*innen stimmen ihnen heimlich zu.
Mit Rechtsextremen reden bringt wenig, denn sie wollen keine Argumente austauschen. Sie wollen Propaganda verbreiten und mit Parolen zum Hass aufstacheln. Da die Rechtsextremen derzeit immer mehr werden, müssen wir also immer mehr Menschen aus den Diskussionen ausschließen. Das widerspricht eigentlich demokratischen Prinzipien. Diesen Widerspruch müssen wir aushalten. Und jede*r ist in der Verantwortung, dass Rechtsextreme sich in unserer Nähe nicht wohlfühlen. Wie das geht?
- Indem wir solidarisch sind mit allen Betroffenen rechter Gewalt und allen Aktiven, die dem Rechtsruck etwas entgegensetzen, vor allem dann, wenn Solidarität und Mut erfordert ist.
- Indem wir die Widersprüche rechtsextremer Politik immer wieder offenlegen. Rechtsextreme haben kein Interesse an sozialer Politik, an guter Bildung oder Gesundheitsversorgung, an Schutz und Sicherheit. Für die allermeisten Menschen wäre die Politik der AfD zum Nachteil. Die AfD stellt immer die falschen Fragen und gibt immer falsche Antworten. Darauf müssen wir unermüdlich hinweisen, statt auf die Buzzwords der AfD reinzufallen.
- Indem wir widersprechen, wo immer uns rechtsextreme Parolen begegnen. Das kann jede*r in Argumentationsworkshops lernen.
- Eingreifen, wenn Leute angegriffen werden, also Zivilcourage zeigen. Auch das kann jede*r in Workshops üben!
- Das Wichtigste ist, Verbündete zu suchen und nicht allein zu bleiben!
11. August 2023
Das falsche Signal
Viele antisemitische Attacken – aber Mittel für politische Bildung werden gekürzt
Von Sophia Oppermann
Das Niveau der gegen Jüdinnen und Juden gerichteten Attacken bleibt erschreckend hoch. Im ersten Halbjahr 2023 wurden bereits 960 antisemitische Straftaten registriert, 25 davon Gewalttaten. Im vergangenen Jahr war die Zahl in etwa vergleichbar. Diese Zahlen legte das Bundeskriminalamt gerade auf die kleine Anfrage von Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau vor.
Das ist zuallererst für die Betroffenen eine Katastrophe und höchst bedrohlich. In der Öffentlichkeit Hebräisch sprechen, eine Kippa tragen oder einen Davidstern umhängen – all dies überlegen sich Juden und Jüdinnen ganz genau. Denn diese Zeichen ihrer Identität machen sie zu möglichen Zielen eines Angriffs. Und das bedeutet im Umkehrschluss: Jüdinnen und Juden können in Deutschland nicht frei und sicher leben.
Ich muss das vielleicht mehrmals – deutlich – schreiben: Juden und Jüdinnen können in Deutschland im Jahr 2023 nicht frei und sicher leben.
Sie werden bedroht und angegriffen, sie erleben Hass und Hetze im Netz und auf der Straße, in Verschwörungserzählungen werden sie für alle Arten von Unheil verantwortlich gemacht. Sie erhalten Drohbriefe, sie werden angespuckt, beschimpft, gejagt. Und eine rechtsextreme Partei, die in aktuellen Umfragen bei bundesweit rund 20 Prozent liegt, agitiert offen rassistisch und antisemitisch gegen Jüdinnen und Juden und bezeichnet den Holocaust als „Vogelschiss in der deutschen Geschichte“.
Das macht Angst. Das ist emotionaler Stress. Das ist jüdischer Alltag in Deutschland. Viele sagen, sie spielen mit dem Gedanken auszuwandern.
Was kann man dagegen tun, außer den Betroffenen immer wieder solidarisch und schützend zur Seite zu stehen?
Ein wirkungsvolles und anerkanntes Mittel gegen menschenfeindliche Ideologien ist und bleibt – die politische Bildung. Sie befähigt uns durch Aufklärung, Erleben und Kennenlernen mit allen Sinnen die Dinge zu verstehen: in Dialogveranstaltungen, Online Games oder auf Reisen, auf Fachtagungen, im Workshop, oder in einer Ausstellung. Klug, wertschätzend, professionell.
Die Bundeszentrale für politische Bildung (BpB) ist auf diesem Gebiet der Hauptakteur in Deutschland. Und sie macht einen wirklich guten Job. Ausgerechnet hier soll nun für das kommende Jahr kräftig gespart werden: Rund 20 Prozent weniger hat das zuständige Bundesministerium des Inneren (BMI) veranschlagt.
Welche Programme oder Projekte werden dann möglicherweise eingestellt? Vielleicht auch solche, die sich mit Antisemitismus beschäftigen?
Geplante Kürzungen bei politischer Bildung sind ein fatales Signal
Die geplante Mittelkürzung ist in Zeiten, in denen der Verfassungsschutz vor der zunehmenden Demokratie-Feindlichkeit als einer der größten Bedrohungen warnt, eine Bankrotterklärung aus dem BMI.
Denn das Signal, das von dieser Kürzung ausgeht, ist dreifach fatal: Die rechtsextremen Agitatoren- die seit Jahren die Einrichtungen politischer Bildung gezielt diskreditieren – jubeln, die Betroffenen von antisemitischer und rassistischer Gewalt fühlen sich erneut allein gelassen, und den oft ehrenamtlichen Aktiven, die sich in kleinen Vereinen gegen Antisemitismus einsetzen und dafür Unterstützung der BpB erhalten, fehlt das Geld für ihre Arbeit.
24. Juli 2023
Merz rollt der #noAfD den roten Teppich aus
Grenzen des Sagbaren ausgedehnt – Woher kennen wir die Strategie?
Von Sophia Oppermann
Das Jugendzentrum in Ihrer Stadt soll erneuert werden? Der Wohnungsbau in Ihrem Landkreis braucht eine sozial verträgliche und bezahlbare Strategie? Der Umgang mit Geflüchteten vor Ort soll menschenrechtskonform gestaltet oder ein Gelände für Windkraft ausgewiesen werden? Hach, lächerlicher Kinderkram!
Für Friedrich Merz, den Parteivorsitzenden der CDU, sind diese Dinge offensichtlich minderwichtige politische Entscheidungen, die man auch locker mit der #noAfD zusammen umsetzen kann: „Wenn dort ein Landrat, ein Bürgermeister gewählt wird, der der AfD angehört, ist es selbstverständlich, dass man dann nach Wegen sucht, wie man dann in dieser Stadt weiter gemeinsam arbeiten kann,“ so Merz im ZDF-Sommerinterview vom 23. Juli 2023.
Bisher galt eine andere Strategie, und zwar eine, die auf dem CDU-Parteitag gemeinsam beschlossen wurde. Die CDU hat eine Zusammenarbeit mit der #noAfD auf allen Ebenen ausgeschlossen. Die Rede ist von einer Brandmauer gegen Rechts – die der Parteivorsitzende selbst nun ins Wanken bringt.
Merz macht der #noAfD den Hof
Merz hat der #noAfD im ZDF-Interview den Hof gemacht und ihr den roten Teppich ausgerollt. Mit diesem bewussten Flirt mit den Rechtsextremen spuckt er all jenen ins Gesicht, die sich aus Sorge um unsere Demokratie, unsere Freiheit und um die Menschenrechte in diesem Land seit Jahren um eine konstruktive und inhaltliche Abgrenzung gegen Rechts bemühen. Und er entzieht den Betroffenen von rechtsextremer Agitation und Gewalt mit seinen Einlassungen zur #noAfD die Solidarität und den Schutz, den sie dringend brauchen. Das sind beispielsweise Homosexuelle, Geflüchtete, Frauen oder Klimaaktivist*innen.
Merz wertet kommunalpolitisches Handeln arrogant ab
Gleichzeitig wertet Merz kommunalpolitisches Handeln mit einer bundespolitischen Arroganz ab, die ihresgleichen sucht. Denn die Demokratie muss sich zuallererst und täglich neu auf lokaler Ebene bewähren. Hier finden die wichtigen Entscheidungen statt, die Menschen unmittelbar betreffen. Kommunalpolitik ist Basis und Wurzel der Demokratie, nicht irgendeine unwichtige Nebensache. Demokratische Politiker*innen kämpfen auf lokaler Ebene täglich mit den Auswirkungen des gesellschaftlichen Rechtsrucks: ihre Scheiben in Wahlreisbüros oder von Privathäusern werden eingeworfen, ihre Kinder werden bedroht und sie selbst auf offener Straße angegriffen und beleidigt.
Es ist gerade mal vier Jahre her, dass ein Landrat der CDU in Hessen, Walter Lübcke, von einem Rechtsextremen erschossen wurde, weil er mit dessen Politik gegenüber Geflüchteten nicht einverstanden war.
Kommunalpolitik ist verdammt wichtig für die Brandmauer gegen Rechts, Herr Merz!
Mit einer Partei, die vom Verfassungsschutz als „in Teilen gesichert rechtsextrem“ eingestuft wird, die die NS-Zeit als „Vogelschiss“ in der deutschen Geschichte bezeichnet und deren Führungskader Höcke straffrei als Faschist bezeichnet werden darf, kann es keinerlei Zusammenarbeit geben. Egal, ob im Ortsbeirat oder im Bundestag. Von einer Relativierung und Verharmlosung der politischen Agenda der #noAfD profitieren einzig die Rechtsextremen. Deren Ziel ist es, ihre menschenfeindliche Politik gerade auch durch vereinzelte Zusammenarbeit mit anderen Parteien zu normalisieren und damit salonfähig zu machen.
Es ist eigentlich nicht so schwer zu verstehen: Antidemokrat*innen müssen mit demokratischen Mitteln bekämpft werden, und nicht, indem man mit ihnen gemeinsame Sache macht.
Merz handelt sich auch aus der Union Widerspruch ein – Lob nur von der #noAfD
Merz hat sich mit seinem Tabu-Bruch nun zu Recht harten Widerspruch einhandelt. Und zwar von allen Seiten und aus allen demokratischen Parteien, inklusive seiner eigenen. Glücklicherweise gibt es bei der CDU genügend kluge Menschen, die ihrem Vorsitzenden die Offerte gegenüber der #noAfD nicht durchgehen lassen.
Merz ist bereits zurückgerudert. Er bedient sich – ob bewusst oder unbewusst – einer Strategie der #noAfD, die wir alle kennen: die Grenzen des Sagbaren weiter ausdehnen. Mal sehen, was an Widerstand kommt. Im Zweifelsfall ein bisschen abschwächen, aber schon mal den Punkt klarmachen, wo es langgehen könnte.
Der Parteivorsitzende der CDU erhält für seinen Tabubruch aus der #noAfD prompt den vergifteten Applaus, der ihm zusteht.
20. Juli 2023
Zivilcourage muss belohnt werden
Wir brauchen sie für eine starke Demokratie
Von Rebecca Weis
In Burg in Brandenburg haben kürzlich zwei Lehrer*innen auf eklatante Missstände an ihrer Schule aufmerksam gemacht: rechtsextreme Vorfälle, Sexismus und Homophobie im Schulalltag, eine Stimmung von Angst und Beklemmung bei denen, die sich dagegenstellen. Nun verlassen die beiden Lehrkräfte die Schule, ja den Ort, wegen Anfeindungen und Bedrohungen.
Das macht mich wütend und traurig! Gesicht Zeigen! engagiert sich seit mehr als 20 Jahren mit Projekten an Schulen. Schulen sind die wichtigsten Einrichtungen, um zu vermitteln, was es heißt, in einer offenen demokratischen Gesellschaft zu leben. Menschenrechte, Gleichberechtigung, das Aushalten von Differenzen und Widersprüchen, die Auseinandersetzung mit unserer Geschichte und die Grundlagen unseres demokratischen Miteinanders sollen dort gelernt werden. Ja, und auch dort ist es wichtig, eine klare und engagierte Haltung zu zeigen. Aber das erfordert großen Mut und kann gefährlich werden. Denn die Einschüchterung von Andersdenkenden und missliebigen politischen Gegnern ist eine bekannte Strategie von Rechten. Das weiß jede*r!
Und die Versuche der AfD direkt an Schulen kritische Diskussion zu unterbinden, sind seit dem sogenannten „Lehrerpranger“ allseits bekannt. Die AfD hatte in verschiedenen Bundesländern unter dem Titel „neutrale Schule“ Online-Meldeplattformen eingerichtet, auf denen Schüler*innen und Eltern AfD kritische Lehrkräfte melden sollten. Sie berief sich dabei auf das Neutralitätsgebot. Im Wesentlichen ging es aber darum, kritische Äußerungen zur AfD zu unterbinden und Lehrkräfte öffentlich an den Pranger zu stellen, einzuschüchtern und mundtot zu machen. (Ich will hier nicht den Themenkomplex Beutelsbacher Konsens und Neutralitätsgebot aufmachen, aber hier sind Hintergrundinfos dazu.)
Wenn also diese beiden mutigen und engagierten Lehrer*innen aus Burg sich outen und öffentlich gegen den vorherrschenden Rechtsextremismus stellen, dann ist eines total klar: Sie dürfen nicht allein gelassen werden. Sie brauchen jede Unterstützung.
In ihrem Brandbrief haben sie die Leerstellen klar benannt: Es braucht Anlaufstellen für die Lehrer*innen und Schüler*innen, Beratung für Schulen und Kollegien, eine Task-Force, die an die betreffenden Schulen kommt– und zwar schnell. Notwendig sind Unterstützung und Rückendeckung durch die Politik vor Ort sowie Solidarität und Schutz. Vieles davon ist passiert, aber dennoch reicht es nicht aus.
Engagierte verstummen, weil Rechtsextreme sie bedrohen
Die beiden verlassen nun ihre Schule und hinterlassen eine Lücke, auch als Rückenhalt für engagierte Schüler*innen. Sie reihen sich ein in eine immer länger werdende Liste von Menschen, die sich zurückziehen, weil sie von Rechtsextremen bedroht werden. In der Kommunalpolitik beobachten wir das schon länger. Die Bürgermeister*innen Arnd Focke, Martina Angermann und Markus Nierth haben sich aus der Politik zurückgezogen, weil sie sich und ihre Angehörigen schützen wollten. Für eine Studie des BKA werden in regelmäßigen Abständen Mandatsträger*innen in der Kommunalpolitik zu Anfeindungen, Bedrohungen und deren Auswirkungen befragt. Demnach leiden 81% der Betroffenen unter psychischen und physischen Folgen aufgrund erlebter Bedrohungen, 7% erwägen die Mandatsniederlegung, weitere 7% schließen eine erneute Kandidatur aus.
Das ist alarmierend! Da verschwinden Stimmen aus dem Diskurs. Menschen ziehen sich zurück und verstummen. Am Ende genau die, die wir brauchen, für eine offene und starke Demokratie. Dass die verteidigt werden muss, ist so offensichtlich wie nie. Die Umfragewerte der AfD zeigen das deutlich.
Jetzt liegen viele Forderungen auf dem Tisch: mehr Zuständigkeiten, früheres Eingreifen der Schulämter, mehr Beratungsangebote. Viele Politiker*innen melden sich zu Wort und zeigen sich besorgt: vom Ministerpräsidenten, über die Bundesministerin für Forschung und Bildung, von Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften bis hin zum Bundespräsidenten: alle betonen, wie wichtig es ist, unsere Demokratie zu verteidigen. Doch offenbar gelingt es uns nicht, Menschen, die das tun und in den Fokus von Rechtsextremen geraten, ausreichend zu unterstützen und zu schützen. Das ist furchtbar und beschämend! Und damit das klar ist: Ich verstehe jede*n, der/die sich aufgrund von persönlichen Anfeindungen und Drohungen zurückzieht.
Doch das können wir nicht wollen. Wie gelingt uns eine langfristige und solidarische Unterstützung von Engagierten? Wie können wir Menschen ermutigen und stärken? Der Kampf gegen Rechtsextremismus ist kein Feuerwehreinsatz, der nur ab und an nötig ist, wenn es gerade mal wieder irgendwo brennt. Er muss täglich und überall geführt werden.
Wir brauchen verlässliche Strukturen und einen langen Atem
Praktiker*innen und Initiativen wie wir sagen das schon lange. Wir brauchen starke und verlässliche Strukturen, mehr Anlaufstellen, Weiter- und Fortbildungen, solidarische Unterstützung von Betroffenen, eine sensibilisierte Polizei, langfristige und etablierte Projekte, nachhaltige Förderung …… und einen langen, langen Atem. Das scheint vielen nicht klar zu sein. Demokratie-Projekte werden offenbar immer wieder als nettes Gimmick gesehen. Warum hören wir jetzt schon wieder, in Zeiten knapper Kassen, dass ausgerechnet bei der Jugendarbeit gekürzt werden soll? Warum müssen Projekte wie wir ständig um Geld und Unterstützung kämpfen? Wo bleibt denn das Demokratiefördergesetz, das langfristige Finanzierungen überhaupt erst möglich macht?
All das kostet – doch das sollte uns unsere Demokratie allemal wert sein. Lippenbekenntnisse reichen nicht aus. Sonst wird es bald wirklich sehr stumm und dunkel in Deutschland.
28. Juni 2023
„Ich bin wütend“
Schock überwinden und Zivilgesellschaft in Thüringen unterstützen
Von Sarah Schwahn
Am Sonntag wurde in Deutschland der erste AfD-Landrat gewählt. Und auch wenn das nicht überraschen kann, bin ich wütend und frage mich: Was ist los mit uns (Süd-)Thüringer*innen?
Vorab: Es ist nicht so, dass eine vermeintliche Brandmauer erst mit dieser Wahl eingerissen wurde. In Thüringen funktioniert die Zusammenarbeit mit der AfD an einigen Stellen schon lange bestens. Und Politik und Zivilgesellschaft stehen auch dort unter hohem Druck, wo die AfD (noch) keinen Landrat stellt.
Ich bin wütend, und zwar auf alle Parteien. Nicht nur, dass die Junge Union dem Wahlsieger der AfD umgehend gratuliert und auf Zusammenarbeit jenseits von „Ideologie und Wahlkampfrhetorik“ hofft. Die Jugendorganisation der CDU ist mittlerweile zurückgerudert, aber der schnelle Tweet zeigt: Man möchte sich von einer in Thüringen als „erwiesen rechtsextrem“ eingestuften Partei erst einmal anhören, was sie zu sagen hat, vielleicht entspricht es ja den eigenen Positionen. Und ich bin wütend auf alle anderen demokratischen Parteien, die daran beteiligt sind, dass sich politische Diskurse meilenweit nach rechts verschieben, sei es durch rassistische Asylpolitik oder politische Stimmungsmache gegen jede Art von Klimapolitik.
Ich bin wütend auf die Wähler*innen. Teilen wir nicht eine gemeinsame Geschichte von gleich zwei totalitären Diktaturen – die jüngste ist noch so frisch, dass viele sie noch selbst erlebt haben? Für mich ist sie präsent, in meiner Familiengeschichte, im nicht enden wollenden Gespräch mit ostdeutsch sozialisierten Freund*innen, in Erzählungen von Menschen, die für ihre Freiheit ins Gefängnis gingen, politisch verfolgt und bespitzelt wurden. Und genau deshalb kann ich sie nicht akzeptieren, die Mär von den zurückgelassenen Ostdeutschen, die aus Protest rechts wählen. Denn mit der AfD wählen sie eine Partei, die für ein autoritäres System wirbt. Ich will und kämpfe für eine bessere Sichtbarkeit und Repräsentation von Menschen aus Ostdeutschland. Dazu gehört auch eine gesamtdeutsche Debatte über Transformations- und Diskriminierungserfahrungen – aber die AfD ist doch wirklich die letzte Partei, die hierfür qualifiziert ist!?
Und letztlich bin ich wütend auf genau diese Erzählung über eine hilflose Wählerschaft, die irgendwo abgehängt wurde und nicht so richtig weiß, was sie da eigentlich tut. Das ist falsch. Und es ist gefährlich. Wenn der Paternalismus gegenüber Ostdeutschen enden soll, dann sollte damit begonnen werden, die Wahlentscheidungen der Menschen ernst zu nehmen und beim Namen zu nennen: rechtsextrem, menschenfeindlich, antidemokratisch. Ich lese auf Twitter und in vielen Kommentaren, dass dieses Wahlergebnis der CDU (und anderen Parteien) zu denken geben sollte. Aber worüber? Die Leute wählen das Original, und ob sie nun aus Protest oder Überzeugung eine rechtsextreme Partei wählen – mir will diese Unterscheidung nicht ganz klar sein.
Die AfD sieht sich auf einem Siegeszug durch die ostdeutschen Länder und die Bundespolitik. Die aktuellen Zahlen geben ihr recht: In Thüringen, Sachsen und Brandenburg liegt sie vorn, im Bund gleichauf mit SPD und Grünen. Der Wahlsieg im kleinen Sonneberg ist die beste Ausgangslage für ihren fortgesetzten Angriff auf die Demokratie. Die AfD fühlt sich bestätigt: Je radikaler, desto besser. Sie wird mit großem Schwung in den Wahlkampf gehen.
Wut lähmt, deshalb will ich nicht nur wütend sein
Allerdings gibt es nichts, das mehr lähmt als Wut, und deshalb will ich nicht nur wütend sein. Ich will mich nicht abarbeiten an den Wähler*innen der AfD. Aber woran dann?
Ja, man sollte die Ostdeutschen ernstnehmen, aber nicht, indem man die herbeifantasierten Ängste und Sorgen der AfD-Wählerschaft verklärt. Diese „Ängste“ speisen sich aus rechtsextremer Hetze, Menschenfeindlichkeit und einer Zersetzung demokratischer Freiheiten. Wer die AfD wählt, tut dies meiner Ansicht nach nicht trotz, sondern gerade wegen dieser Elemente. Auch wenn es die AfD geschafft hat, eine für viele Menschen in Ostdeutschland schmerzhafte Transformationserfahrung für die eigenen Zwecke umzudeuten, weiß ihre Wählerschaft genau, was sie tut.
Die Betroffenen von Menschenfeindlichkeit brauchen unsere Unterstützung
Wer hingegen unsere ganze Aufmerksamkeit braucht, ist die Zivilgesellschaft vor Ort und diejenigen, die von Menschenfeindlichkeit betroffen sind – rassifizierte Personen, Geflüchtete, Queers. Sie alle arbeiten und leben unter Einsatz der eigenen Sicherheit, der ihrer Familie und Freund*innen. Demokrat*innen, die sich an vielen Orten des täglichen Lebens, sei es auf Dorffesten, in der Kita, am Arbeitsplatz, offen gegen den alltäglichen Hass in Südthüringen stellen, Lokalpolitiker*innen, die unermüdlich rechte Hetze aushalten und dagegen angehen. Das sind die Menschen, die wir als bundesweit organisierte Zivilgesellschaft unterstützen müssen, anstatt sie unsichtbar zu machen in unserem Schock über die Erfolge der AfD.
Die Autorin kommt aus dem Bundestagswahlkreis, in dem Sonneberg liegt. Sie arbeitet bei Gesicht Zeigen! als Referentin im Bereich Rechtsextremismusprävention.
05. Dezember 2022
Was tun gegen Hass im Netz?
Das Internet ist voll von Hass. Aber: Dagegen seid Ihr nicht machtlos! Welche Möglichkeiten es gibt, Euch und andere zu schützen und wie Ihr Hass im Netz begegnen könnt, mögliche Straftaten erkennt oder Hass-Postings entfernen lassen könnt, das haben wir Euch in unserem neuen Video zusammengefasst. Schaut mal rein! Mehr Infos findet Ihr zudem bei anwalt.org! Falls ihr bei einem konkreten Fall, der euch oder andere betrifft, Anzeige erstatten wollt, könnt ihr das bei der jeweiligen Internetwache eures Bundeslandes machen.
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