Aufhören wegzusehen und der unsägliche Sarrazin – ein Kommentar von Uwe-Karsten Heye

Wenn der Regionalligist Chemnitzer FC ein Auswärtsspiel hat, ist höchste Alarmstufe  angesagt. Die Fan-Szene des Vereins ist berüchtigt, und stramm rechtsextrem. Das fordert engste Begleitung der aus Chemnitz anreisenden aggressiven Fans zum jeweiligen Stadion und zurück durch mindestens eine Hundertschaft der Bereitschaftspolizei. Ein Fanblock mit überwiegend kahl geschorenen Köpfen, Glatzenkultur und schwarzer Dress. Die Stadt Chemnitz  ist das, was man eine rechtsextremistische Hochburg nennen kann.

Für die Experten der politischen Landschaft Sachsens ist es Alltag, was sich da im Chemnitz dieser Tage ereignet. Jahrelang gab es einen Polizeipräsidenten, erinnert der Rechtsextremismusexperte Professor Hajo Funke,  der die wachsende Rechtsentwicklung in der Stadt weitgehend tatenlos geschehen ließ. Als Störenfriede galten hingegen alle, die sich dagegen  zur Wehr setzen. Desgleichen war schon in Dresden über Jahre zu beobachten als sich so etwas wie Widerstand gegen die jährlichen Aufmärsche entwickelte, wenn Neonazis an die Verheerung der Stadt in den letzten Kriegstagen im Februar 1945 erinnern. Im Bombardement Alliierter Kampfflugzeuge versank in den letzten Kriegstagen eine Stadt in Schutt und Asche, in deren Straßen zudem tausende Flüchtlinge aus Ost- und Westpreußen und Schlesien kampierten.

Daher der Versuch der neuen Rechten, nach der Wende mit jährlich daran erinnernden Aufmärschen den Eindruck zu erwecken, als sei Nazi-Deutschland ohne Schuld und eigenes Zutun, den Angriffen alliierter Bomber ausgesetzt gewesen. Dagegen waren deutsche Kriegsverbrechen und die Ermordung der europäischen Juden ein „Vogelschiss in über tausendejähriger erfolgreicher deutscher Geschichte“ wie AfD-Gauland im heißen Juni 2018 vor Teilnehmern seiner Jugendorganisation tönte. In Stadt und Land Sachsens wurde der wachsende  Rechtsruck in Teilen der Gesellschaft ignoriert oder verharmlost. Die Landesregierung hatte daran großen Anteil. Statt dem Terror von Rechts Einhalt zu gebieten, wurde weggesehen.

In Städten wie in den ländlichen Gemeinden Sachsens wuchs eine Stimmungslage, die rechtsextremen Parteien aus dem Westen wie NPD oder Republikaner unverhofften Zulauf brachte. Desgleichen setzt sich jetzt in Umfragen für die AfD fort. In Chemnitz bildet sich eine rechtsextreme Einheitsfront, beteiligt ebenso Hooligans wie rechte Kameradschaften und AfD, die gemeinsam im Netz mobilisieren und zum  Marsch nach Chemnitz aufrufen, wo sich die Rechte auch aus Westdeutschland einfindet.

Ideologisches Futter dazu kommt aus der Feder von Thilo Sarrazin, der sich erneut mit dem Islam befasst und ein unsägliches neues Buch  vorgelegt hat. Er versteigt sich dabei erneut zu der These, das Türken und Araber und damit Muslime insgesamt schuld seien an der „fühlbaren Abnahme der kognitiven Fähigkeiten in Europa“, kurz sie machen den „Herrenmenschen“ dümmer.  Wann befreit sich die SPD endlich von diesem Parteimitglied, das steile faschistische Thesen pseudowissenschaftlich verbrämt zwischen zwei Buchdeckeln vorträgt? Titel: „Feindliche Übernahme“. Er hätte es auch „Mein  Kampf“ nennen können Hoffentlich ist das Geschichtsbewusstsein noch vorhanden, wohin so etwas führen kann, auch (leider) ohne historische Kommission der SPD, die gerade abgewickelt wurde.

Für den stellvertretenden FDP-Vorsitzenden Kubicki trägt allein die Kanzlerin Schuld an den Hetzjagden gegen Ausländer in den Straßen von Chemnitz, weil sie erstens den Schutzlosen Flüchtlingen aus Syrien Schutz gewährte und zweitens dies mit den Worten begleitete: „Wir schaffen das“. Größerer Unsinn ist bislang aus einer demokratischen Partei nur aus der CSU gedrungen. Der Aufstand von dort gegen den „Flüchtlingstourismus“ ist von der Hoffnung getragen,  so der AfD Stimmen abzujagen, um die Bayernwahl im Herbst doch noch für die CSU zu retten.

Feine Zurückhaltung im öffentlichen Streit der Demokraten üben die Sozialdemokraten. Dabei wäre es an der Zeit, dass sich die demokratische Mehrheit im Land endlich zu gemeinsamem Handeln aufrafft, statt sich gegenseitig den schwarzen Peter zuzuspielen.  Wir brauchen ein demokratisches Bündnis im Widerstand gegen den braunen Nationalismus, das gemeinsam dem „Nie Wieder“  Statur und Geltung verschafft, statt auf das „Schon wieder“ oder „Immer noch“ zu warten.