Rechtsextreme Verdachtsfälle in der Bundeswehr
Ein Kommentar von Dana Fuchs, Rechtsextremismusexpertin bei Gesicht Zeigen!
Gesicht Zeigen! begrüßt die lange überfällige Aufarbeitung von rechtsextremen Verdachtsfällen in der Bundeswehr. Vor kurzem wurde bekannt, dass der Militärische Abschirmdienst (MAD) aktuell bei rund 550 Bundeswehrsoldaten einem Verdacht auf Rechtsextremismus nachgeht. Außergewöhnlich viele Verdachtsfälle gibt es in der Eliteeinheit Kommando Spezialkräfte (KSK). Aktuell werden rund 20 Fälle bearbeitet. Somit ist die Zahl in Relation zur Personalstärke fünfmal so hoch wie beim Rest der Bundeswehr. Zudem soll 2020 erstmals ein offizieller MAD-Tätigkeitsbericht veröffentlicht werden. Einen solchen hatte etwa der Wehrbeauftragte des Bundestages Hans-Peter Bartels seit längerem gefordert.
Diese Untersuchungen sind vor allem eine Reaktion auf das Bekanntwerden des Falls Franco A. Der Bundeswehrsoldat soll Anschläge auf Politiker*innen bzw. andere Personen des öffentlichen Lebens vorbereitet haben – unter ihnen auch die Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung Anetta Kahane. Der Fall zeigte deutlich: Das Thema Rechtsextremismus in der Bundeswehr wurde lange unterschätzt.
Rechte Strukturen und Vorfälle haben Tradition und wurden lange verharmlost bzw. nicht ernst genommen. So beklagte beispielsweise 1995 – im Jahr der ersten großen Ausstellung über die Verbrechen der Wehrmacht – der damalige Wehrbeauftragte des Bundestages Alfred Biehle, eine Glorifizierung der Wehrmacht bei der Bundeswehr. Bei einer Fallschirmjägereinheit seien beispielsweise Dokumente ausgehängt worden, in denen „ein vom nationalsozialistischen Geist mitgeprägtes soldatisches Verständnis und sinnloser Durchhaltewillen zum Ausdruck kamen“.
Dass das Thema „Wehrmachts-Verherrlichung“ immer noch aktuell ist, zeigten die 2017 von der damaligen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen angeordneten Kasernendurchsuchungen. Hierbei wurden rund 400 Militärdevotionalien gefunden, darunter Helme, Uniformen, Gewehre, Panzermodelle, Säbel und Schwerter teilweise mit Hakenkreuzen versehen oder Wehrmachts-Bezug. Auch gibt es immer noch einige Bundeswehreinrichtungen, die nach Mitgliedern der Wehrmacht benannt sind.
Rechtsextremismus in der Bundeswehr ist kein neues Phänomen und bedarf einer kontinuierlichen Aufarbeitung. Das Ignorieren rechtsextremer Vorfälle oder der Versuch einer schnellen Reaktion, um das unliebsame Thema wieder zu den Akten legen zu können, musste scheitern. Es hat vielmehr dazu geführt, dass sich rechtsextreme Strukturen ausbauen und weiter vernetzen konnten. Wie umfangreich und ernsthaft dies geschehen ist, zeigt insbesondere der Fall Hannibal. Hannibal war der Deckname des ehemaligen KSK-Feldwebels André S. Dieser soll laut Medienrecherchen ein Netzwerk rechtsextremer Soldat*innen aufgebaut haben mit dem Ziel eine Untergrundarmee aufzubauen, welche angeblich bis in den MAD hineinreicht. Ausgetauscht hatte sich André S. in Chats, in denen nicht nur Soldaten und Reservisten Mitglieder waren, sondern angeblich auch Polizisten sowie Beamte und Mitarbeiter des Verfassungsschutzes. In den verschlüsselten Chats tauschten sich die Mitglieder beispielsweise darüber aus, dass ein Krisenfall in Deutschland eine Chance für einen bewaffneten Umsturz wäre. An einem eventuellen „Tag X“ könnte dann die Macht übernommen werden und linke Politiker*innen und Aktivist*innen gefangen genommen und umgebracht werden.
Ob die Untersuchung der 550 rechtsextremen Verdachtsfälle auch die Aufarbeitung dieses Netzwerks um André S. umfasst, bleibt unklar und kann durchaus angezweifelt werden.
Unklar ist außerdem, inwiefern die Bundeswehr ihre Strukturen ändern wird, um Rechtsextremismus zukünftig ernsthaft ahnden und unterbinden Zu können. Welche Möglichkeiten haben beispielsweise Soldat*innen rechtsextreme Vorfälle zu melden? In der Vergangenheit wurden Zeug*innen nicht ernst genommen und teilweise sogar entlassen. Wie können Vorfälle direkt an oberster Stelle gemeldet werden? Braucht es eine unabhängige Behörde an die sich Soldat*innen wenden können? Wenn eine solche Meldung erfolgt, was sind dann die Konsequenzen? Wie werden die Meldungen untersucht? Auch präventiv sollte Demokratiebildung und die Aufklärung über NS-Geschichte, sowie rechtsextreme Ideologie ein fester Bestandteil der Grundausbildung und weiterführender Fortbildungen sein.
Die hohe Anzahl rechtsextremer Verdachtsfälle zeigt, dass viel zu lange nicht richtig hin- oder sogar weggeschaut wurde. Das Problem wurde nicht hinreichend erkannt, notwendige Maßnahmen blieben aus. Ob dies nun in vollem Umfang nachgeholt wird, ist unklar – es bleibt aber zu hoffen.