Policy Papier des KompRex

Am 26. September 2021 wurde ein neuer Bundestag gewählt, nun wird eine neue Bundesregierung gebildet. In den kommenden Jahren gilt es, die Prävention von Rechtsextremismus und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit zu einem Schwerpunkt der Politik zu machen. Das Kompetenznetzwerk Rechtsextremismusprävention, dem Gesicht Zeigen! angehört, schlägt dazu in einem Policy Papier (PDF) verschiedene Maßnahmen vor.


Empfehlungen an die neue Bundesregierung zur Prävention und Bekämpfung von Rechtsextremismus und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit

 

Berlin, im September 2021

Rechtsextremismus ist die größte Gefahr für die Demokratie – in dieser Einschätzung sind sich Expert:innen aus der Zivilgesellschaft und aus den Sicherheitsbehörden einig. Die rechtsterroristischen Anschläge in Halle, Hanau und Kassel haben uns das in den vergangenen Jahren noch einmal schmerzhaft vor Augen geführt.

Rechtsextremismus tritt dabei längst nicht mehr nur in Springerstiefeln und mit Baseballschlägern auf. Vielmehr sind in den letzten Jahren mehr oder weniger lose Zusammenschlüsse verschiedener Gruppen zu beobachten, die auf den ersten Blick oft gar nichts miteinander zu tun zu haben scheinen: Impfgegner:innen, Reichsbürger:innen, Antisemit:innen und Esoteriker:innen konnten gerade im letzten, von der Pandemie geprägten Jahr, gemeinsam und mit ähnlichen Forderungen auf den gleichen Versammlungen auftreten, um ihre menschenfeindliche Ideologie zu verbreiten.

Diese ungewöhnlichen Allianzen können sich auch deshalb entfalten, weil in zunehmend größeren Teilen der Bevölkerung die Distanz zu Inhalten, Aktionsformen und Personen der extremen Rechten fehlt, wie wir es schon bei den Pegida-Protesten gesehen haben. Das Kompetenznetzwerk Rechtsextremismusprävention beobachtet mit Sorge, dass sich rechtsextreme Einstellungen immer weiter in der sogenannten Mitte der Gesellschaft verfestigen.

Rechtsextreme versuchen das gezielt zu nutzen – online und offline, auf dem Land und in der Stadt. Rassismus, Antifeminismus und Antisemitismus wirken dabei als verbindende Klammer, die solch unterschiedliche Akteur:innen gemeinsam auf die Straßen treten lässt. All das gefährdet die Sicherheit vieler Menschen.

Das haben wir nicht zuletzt auch an dem grausamen Mord in Idar-Oberstein gesehen. Dort erschoss ein der Querdenker-Szene nahestehender Mann den Verkäufer einer Tankstelle, nachdem dieser ihn zum Tragen einer Maske aufgefordert hatte. Der Täter bewegte sich online in rechtsalternativen Kreisen und teilte dort sein menschenverachtendes Weltbild mit Gleichgesinnten. Dieses rechte Netzwerk ist entscheidend, um seine Radikalisierung zu verstehen. Gemeinsam mit anderen zivilgesellschaftlichen Akteur:innen warnen wir schon lange vor diesem Phänomen, das als stochastischer Terror bezeichnet wird. Es beschreibt, wie aufgehetzte Gruppen über Massenkommunikations-Medien indirekt Einzelpersonen dazu auffordern, den Worten terroristische Taten folgen zu lassen. Die individuelle Tat ist dann zwar unvorhersehbar, aber dass jemand zur Tat schreitet, ist statistisch vorhersehbar. Aus diesem Grund ist einer Einzeltäter-These gerade auch in diesem konkreten Falle zu widersprechen. Vielmehr muss sich der Blick darauf wenden, welche gesellschaftlichen Diskurse diese Tat begünstigt haben.

Gewaltfantasien und Verschwörungsideologien wird viel zu oft mit Verständnis statt klarer Abgrenzung begegnet. Dabei zeigt gerade der Mord in Idar-Oberstein, dass nicht die Maskenpflicht, sondern die rechtsextreme Ideologie hinter dieser schrecklichen Tat stehen. Eine Ideologie, die sich keineswegs nur in extremen abgeschlossenen Gruppierungen findet, sondern in den letzten Jahren immer weiter in die Mitte der Gesellschaft und ins Parlament rückte.

Die scheidende Bundesregierung hat einen Kabinettsausschuss zur Bekämpfung von Rassismus und Rechtsextremismus eingesetzt, der einen Maßnahmenkatalog veröffentlicht und auf den Weg gebracht hat. Wir begrüßen die sinnvollen Maßnahmen zur Stärkung der Demokratie und empfehlen der neuen Bundesregierung, diesen Katalog schnellstmöglich umzusetzen.

1. Gesamtstrategie gegen Rechtsextremismus und GMF entwickeln

Was jenseits der 89 Maßnahmen jedoch fehlt, ist eine Gesamtstrategie zum Umgang und zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Wir empfehlen der neuen Bundesregierung, eine solche Gesamtstrategie zu entwickeln und ihre politische Arbeit daran zu orientieren. Darin sollten eine klare Zieldefinition, ein Budget und messbare Ergebnisse beschrieben werden.

Darüber hinaus ist es wichtig, die vom Kabinettsausschuss beschlossenen Maßnahmen von einem unabhängigen Gremium bestehend aus Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Politik kritisch begleiten und evaluieren sowie Vorschläge für aktuelle Herausforderungen erarbeiten zu lassen. Ein solcher dauerhaft institutionalisierter Austausch zwischen der eigenständigen Zivilgesellschaft und unabhängigen Wissenschaft einerseits sowie  Politik und Verwaltung andererseits fehlt bisher und könnte einen großen Mehrwert für die verschiedenen Seiten bieten.

Zu einer Gesamtstrategie muss auch gehören, dass in allen Bereichen und auf allen Ebenen föderalen staatlichen Handelns eine systematische Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus, Rassismus, Antifeminismus und Antisemitismus stattfinden muss. Dazu gehören beispielsweise das Justiz- und Bildungssystem. Die Bundesregierung sollte sich dafür einsetzen, dass diese Themen in die Ausbildungen für diese Tätigkeiten (wie etwa Staatsanwaltschaften, Richter:innen-Ämter, Lehramtsausbildung) verpflichtend integriert werden.

2. Demokratische Öffentlichkeit erhalten und Schutz von Betroffenen ausbauen

Die Verbreitung von Desinformation und Hate Speech hat in den letzten Jahren massiv zugenommen. Insbesondere für diskriminierte Gruppen, aber auch für Ehrenamtliche, Kommunalpolitiker:innen, Gleichstellungsbeauftragte, Journalist:innen oder Wissenschaftler:innen nehmen die Bedrohungen zu. Sie tragen ein erhöhtes Sicherheitsrisiko, das zum Rückzug demokratischer Akteur:innen aus öffentlichen Debatten führen kann.

Zu empfehlen ist deswegen der flächendeckende Auf- und Ausbau von Opferberatungs- und Antidiskriminierungsstellen, die professionell beraten und Sensibilisierungs- und Bildungsarbeit anbieten. Wichtig sind zudem Unterstützungsfonds für Betroffene rechter Gewalt. Für sie und zivilgesellschaftliche Akteur:innen braucht es Ressourcen für bauliche Maßnahmen, Objektschutz, IT-Sicherheit, Anwaltskosten oder Sicherheitsschulungen.

Politik und Zivilgesellschaft müssen sich darüber hinaus sehr viel stärker mit menschenverachtenden und demokratiefeindlichen Einstellungen im Netz auseinandersetzen. Beratungsstellen für Opfer von Hate Speech und Online-Hass müssen ausgebaut werden, ebenso wie Anlaufstellen in und außerhalb von Messengerdiensten oder Gaming-Plattformen, um Beobachtungen über demokratiegefährdende Äußerungen, Handlungen und Radikalisierungsprozesse in einzelnen Portalen melden zu können. Zudem ist eine verbesserte Qualifizierung von Polizei und Justiz dringend erforderlich, um geltendes Recht im Bereich der Online-Hasskriminalität umzusetzen.

Gerade im Zuge der Corona-Proteste haben Verschwörungserzählungen großen Zulauf erhalten. Angehörige, Kolleg:innen und Freund:innen wenden sich hilfesuchend an zivilgesellschaftliche Projekte und Initiativen, weil sie nicht wissen, wie sie auf die Radikalisierung nahestehender Menschen reagieren sollen. Doch die Nachfrage nach Beratungsangeboten ist viel größer als die Kapazitäten der bis jetzt bestehenden zivilgesellschaftlichen Projekte. Es braucht mehr Investitionen in Beratungs- Präventionsstrukturen zum Umgang mit Demokratiefeindlichkeit und Verschwörungserzählungen (für Angehörige, Familien, pädagogische Strukturen und Berufsfelder).

3. Endlich ein Demokratiefördergesetz verabschieden

Einen großen Teil der Rechtsextremismusprävention leisten zivilgesellschaftliche Organisationen. Doch es fehlt ein gesetzlicher Rahmen, der ihre dauerhafte Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus gewährleistet. Die zeitlich befristete Projektförderung führt dazu, dass es schwer ist, Personal zu halten, langfristig zu planen und feste Strukturen aufzubauen. Zudem gibt es kaum eine Möglichkeit, gut funktionierende Konzepte dauerhaft durchzuführen, weil der Projekt-Charakter ständige Innovationen einfordert, selbst wenn die bewährten Maßnahmen weiterhin notwendig und effektiv sind. Der dadurch entstehende zusätzliche Verwaltungs- und Arbeitsaufwand ist enorm und geht zu Lasten der Demokratieförderung. Auch die Kompetenznetzwerke und -zentren sind nur noch bis 2024 gefördert.

Deswegen ist eine gesetzliche Grundlage für langfristiges Engagement notwendig: ein Demokratiefördergesetz. Die gute und wichtige Arbeit zivilgesellschaftlicher Träger kann dadurch nachhaltig abgesichert werden. Sie darf nicht von finanziellen Nöten und Sorgen um die Absicherung der Weiterarbeit geprägt sein.

Nur mit einem Demokratiefördergesetz lassen sich erfolgreiche Projekte verstetigen, Professionalisierungen ausbauen und Ressourcen schonen. Prävention sollte darin nicht nur für Jugendliche und junge Menschen bis 27 Jahren geregelt werden (wie das in der aktuellen Förderung der Fall ist), sondern auf Bildungsprogramme für Erwachsene und ältere Menschen ausgeweitet werden. Auch eine gezielte Ansprache diverser Berufsgruppen und Unternehmen ist eine wichtige Erweiterung und notwendige Diversifizierung von Zielgruppen der Präventionsarbeit. Anstatt des aktuell geplanten und beim Bundesinnenministerium angesiedelten staatlichen Instituts für Qualitätssicherung sollte eine unabhängige wissenschaftliche Begleitung zivilgesellschaftliche Projekte in der Präventionsarbeit evaluieren.

Zugleich ist von einer staatlich abgefragten Verfassungstreue der Projektträger und ihrer Mitarbeiter:innen in Form von Extremismusklauseln oder einer Überprüfung durch Verfassungsschutzbehörden abzusehen, weil sie ohne Anlass Demokratiearbeit unter Generalverdacht stellen und Vertrauen verspielen. Vielmehr muss ein Demokratiefördergesetz Subsidiarität ernst nehmen und eine klare Rollenverteilung umsetzen: Die Mitarbeiter:innen der zivilgesellschaftlichen Akteur:innen beziehen ihre Analysen und Gegenstrategien aus der alltäglichen Arbeit im Feld. Sie nehmen Entwicklungen frühzeitig wahr, haben ein fachlich fundiertes Verständnis für mögliche Interventionen und Präventionen und können die dafür nötigen Bündnisse schmieden. Staatliche Akteur:innen müssen dies ernstnehmen und fördern, ohne diese Funktionen selber zu übernehmen. Dem Staat kommt die Aufgabe zu, im Rahmen der Gesamtstrategie die verschiedenen Aspekte der Demokratieförderung, politischen Bildung und Sicherheitspolitik unter den verschiedenen Akteur:innen zu koordinieren. So gelingt eine Kooperation auf Augenhöhe.

Wenn Personen aus der extrem rechten Szene aussteigen wollen, muss es dafür ein Angebot von Begleitprogrammen geben. Denn nur weil rechtsextreme Personen (behördlich) nicht mehr in Erscheinung treten, ist das nicht gleichzusetzen mit einem nachhaltigen Ausstieg. Wir empfehlen der Bundesregierung deswegen, die bestehenden regional verankerten zivilgesellschaftlichen Angebote besser zu unterstützen, die extrem rechte Personen beim Ausstieg und der Distanzierung unterstützen und die vor, nach und neben der Strafverfolgung aktiv sind. Solche Angebote sollten flächendeckend vorhanden sein.

4. Gemeinnützigkeitsrecht reformieren

Träger der Präventionsarbeit und politischen Bildung sind wichtige Säulen der modernen Demokratie. Sie müssen in Bezug auf das Neutralitätsgebot und Verunsicherungen über einen möglichen Gemeinnützigkeits-Entzug gestärkt werden. Denn immer häufiger wird das gesellschaftliche und politische Engagement mit einem Verweis auf eine vermeintlich verletzte politische Neutralitätspflicht kritisiert und angegriffen. Damit soll gezielt das Engagement zivilgesellschaftlicher Organisationen eingeschränkt werden. Zugleich wird die staatliche Förderung von Organisationen in Frage gestellt, die sich in den politischen Diskurs einbringen und keine „Neutralität“ gegenüber Rassismus, Antisemitismus und Antifeminismus dulden. Das Gemeinnützigkeitsrecht muss daher reformiert werden.

5. Rechtsextremismus und Rassismus in Sicherheitsbehörden konsequent bekämpfen

Um das Vertrauen Betroffener in staatliche Stellen (zurück) zu gewinnen, muss struktureller Rassismus in der Behördenpraxis systematisch durch unabhängige Wissenschaftler:innen erforscht werden. Die Ergebnisse müssen unter Beteiligung von Betroffenen ausgewertet werden und künftig durch Aus- und Fortbildung zu einem angepassten diskriminierungsfreien Verhalten führen. Dazu gehört auch eine veränderte Fahndungspraxis und somit ein Ende des Racial Profilings. Über das eigene Verhalten im speziell polizeilichen Alltag hinaus, müssen Sensibilisierung für Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus und Antifeminismus Bestandteil der Aus- und regelmäßiger Fortbildung aller Sicherheitsbehörden werden, um der Gefährdung des Rechtsstaats durch diese Phänomene angemessenen entgegen zu wirken. Dem Bund kommt hier eine besondere Verantwortung und Vorreiterrolle zu und er muss sich im Rahmen seiner Verantwortung für die Gesamtstrategie auch in den Ländern für eine entsprechende Umsetzung einsetzen.

Unabdingbar für das Vertrauen in Sicherheitsbehörden und für die rechtsstaatliche Bekämpfung von Rechtsextremismus, ist der entschiedene Einsatz gegen rechtsextreme Netzwerke in den Sicherheitsbehörden und der Bundeswehr. Diese müssen konsequent aufgedeckt und künftig verhindert werden. Unabhängige Polizeibeauftragte bieten dazu auch intern eine Ansprechbarkeit und fungieren als Scharnier zwischen Zivilgesellschaft, Sicherheitsbehörde und Parlament.

6. Antifeminismus

Antifeminismus, Sexismus, die Feindschaft gegen Gleichstellungspolitiken und Geschlechterforschung sind fundamentaler Bestandteil extrem rechter Ideologien. Sie haben eine Scharnierfunktion innerhalb der heterogenen rechten Szene und bilden ein wichtiges Brückennarrativ in die Mitte der Gesellschaft. In Demokratieförderprogrammen werden jedoch bisher kaum Ressourcen für die Bekämpfung von Antifeminismus und Sexismus bereitgestellt. Entsprechende Ressourcen sind von der neuen Bundesregierung dringend zur Verfügung zu stellen und Gender bei der Präventionsarbeit, Demokratie- und Vielfaltsförderung sehr viel stärker zu berücksichtigen. Die neue Bundesregierung wird aufgefordert, eine Strategie zu entwickeln, die den aktuellen Herausforderungen gerecht wird und Antifeminismus als Demokratiegefährdung ernst nimmt. Es braucht zudem die Stärkung eines zivilgesellschaftlichen systematischen Monitorings (on- und offline), denn bisher fehlen systematisch erfasste und aufbereitete Daten zur Gefährdungslage, Ausprägung, Betroffenen- oder Tätergruppen. Es braucht mehr Fortbildungen und Coaching, um die zivilgesellschaftliche Resilienz gegen Antifeminismus zu fördern. Dazu gehört eine beratende Begleitung für Sozialarbeiter:innen, Journalist:innen, Sicherheitsbehörden, aber auch Kommunalpolitiker:innen oder politisch engagierten Frauen* zu den Themen antifeministische Hate Speech und misogyne, sexistische Anfeindungen.

Das Kompetenznetzwerk Rechtsextremismusprävention steht für Gespräche gern zur Verfügung.