Der „Sturm auf das Kapitol“ bedarf ehrlicher Aufarbeitung

Als am 06. Januar 2021 in Washington D.C. die Wahl des neuen US-Präsidenten Joe Biden formal bestätigt werden sollte, stürmten tausende Anhänger*innen des scheidenden Präsidenten Donald Trump gewaltsam das Kapitol.

Ein Kommentar von Uwe-Karsten Heye

Es ist nachzuvollziehen, auf die bürgerkriegsähnlichen Ereignisse in den USA von Europa aus mit „Entsetzen“ über den Atlantik nach Washington zu blicken. Allerdings sollten Europäer*innen dabei nicht dem Irrtum unterliegen, zu glauben, der Trampelpfad des Faschismus verlaufe nur auf dem amerikanischen Kontinent, von den USA, über Mittelamerika, bis nach Brasilien. Rechtsextreme Parteien haben auch wachsenden Zulauf in Europa, auch in der Türkei, einschließlich Israel, und zudem weltweit, auch in Indien oder in Australien. Mit anderen Worten, der „Sturm auf das Kapitol“, Herzkammer der Demokratie der USA in Washington D.C., ist nicht nur durch den von Trump aufgepeitschten und von ihm angeführten rechtsextremen Mob zu erklären, er ist viel mehr Teil eines rechtsextremen und nationalistischen Rückfalls, der sich weltweit auslebt, parallel zur Seidenstraße. 

Nicht nur in den USA

Die Vokabel „Entsetzen“ fehlt in der Echokammer der Empörung in keinem Statement der politischen Akteur*innen,  auch nicht aus Deutschland, wenn es darum geht, die Geschehnisse in Washington zu kommentieren; als würden die Absender*innen davon ausgehen, dass es die Zunahme rechtspopulistischer Exzesse nur dank Trump gebe, und nur in den USA zu beobachten seien. Man erinnere sich: auch in Berlin gab es bereits im November 2020 den allerdings noch vergeblichen Versuch, den Reichstag zu stürmen, als einige tausend Demonstrant*innen mit rechtsextremen Parolen und auf Plakaten mit Abbildungen ihres Hoffnungsträgers Trump, die Maßnahmen von Bund und Ländern zur Bekämpfung der Pandemie vielstimmig als direkten Weg in eine „Corona-Diktatur“ umzulügen versuchten.

Lüge und Wahrheit

Der notorische Lügner Donald Trump und sein autoritärer Politikstil sind für sie Vorbild, deckungsgleich wächst Gewaltbereitschaft rechtsextremer Gruppen sowohl in den USA als auch in Europa. Trump war es gelungen, online über die sozialen Medien die Wirklichkeit umzulügen und alles, was ihm nicht passte als „Fake News der Lügenpresse“ zurück zuweisen und „Meinungen als Fakten“ auszugeben, und „Wahrheit zur Lüge und die Lüge zur Wahrheit“ zu verdrehen. Es wäre also im Interesse der kleiner gewordenen Zahl demokratisch und  rechtsstaatlich verfasster Demokratien in der Welt, den Demokraten Joe Biden dabei zu unterstützen, die zerrüttete Gesellschaft und tiefe Spaltung in den USA überwinden zu helfen – und sei es durch Aufnahme des entschiedenen Kampfes gegen seine rechtspopulistischen Bewunderer*innen in Europa. Auch in Europa wächst Gewaltbereitschaft einer wachsenden Zahl von Menschen, die sich in rechtsextremen Gruppierungen und allein in Deutschland auf mehr als 25. 000  Aktivist*innen stützen. Nicht zu vergessen deren politischer Arm die „AfD“, derzeit stärkste Oppositionspartei, die in allen Landtagen und im Bundestag Sitz und Stimme hat. 

Gefahr rechtsextremer Chatgruppen

Die Sicherheitsbehörden, Justiz und Polizei haben Informationen, dass im Netz in konspirativen Chats zunehmend auf den Tag-X orientiert wird, um dann das verhasste demokratische System zu beseitigen. Es gibt Hinweise auf Waffenlager, und versteckte Leichensäcke, die bereit gehalten werden für Massengräber. Immer wieder werden auch rechtsextreme Chatgruppen in der Polizei entdeckt, die in Netzwerken organisiert sind. Sie bekämpfen alles, was dazu führen könnte, dass das grenzenlose Europa endlich zu einer bunten und weltoffenen Europäischen Union heranreift, was leider derzeit kaum Aussicht auf Verwirklichung hat.

Quo vadis Europa?

Im Gegenteil. Weder Polen noch Ungarn sind nach der Abkehr Großbritanniens von der Europäischen Union bereit, das grenzenlose Europa zu einem Hort wertmächtiger Humanität zu machen und der Menschenrechts-Charta der Vereinten Nationen zu folgen. Beide Länder folgen vornehmlich Trumps „America first“ und seinem autoritären Regierungsstil. Nun ist ihnen Trump abhanden gekommen. Hoffentlich hilft es, das grenzenlose und weltoffene Europa zu neuer Blüte zu bringen, und vielleicht sogar auf Ungarn und Polen auszustrahlen.