Anlässlich der Landtagswahl in Sachsen gab der Vorstandsvorsitzende von Gesicht Zeigen!, Uwe-Karsten Heye am 26. August 2009 ein Interview in der Sendung Ortszeit. Das Gespräch führte Nana Brink.
Heye: Wer nicht wählen geht, stärkt indirekt die NPD
Der Vorsitzende der Initiative „Gesicht zeigen“, Uwe-Karsten Heye (SPD), hat die Bevölkerung Sachsens aufgefordert, an der bevorstehenden Landtagswahl teilzunehmen. Nur durch eine hohe Wahlbeteiligung könne der Wiedereinzug der NPD in den Landtag verhindert werden.
Nana Brink: Seit September 2004 sitzt die rechtsextreme NPD im sächsischen Landtag. Auf der Höhe der Protestbewegung gegen die Hartz-IV-Gesetzgebung schaffte sie, 9,2 Prozent der Wählerstimmen einzufangen. Zwölf NPD-Abgeordnete zogen in den Landtag ein, von einem hohen Protestwähleranteil war die Rede damals. Doch inzwischen haben sich ihre Strukturen im Land deutlich verfestigt. Bei der Kommunalwahl im Frühsommer dieses Jahres konnte sie erneut punkten und zog in alle sächsischen Kreistage ein. Jetzt kämpft die NPD um den ersten Wiedereinzug in ein Landesparlament überhaupt und die Parteiführung spricht vom wichtigsten Wahlkampf für die NPD. Stellt sich die Frage: Wie empfänglich sind die Sachsen für die Inhalte der Rechtsextremen?
Ich bin jetzt verbunden mit Uwe-Karsten Heye, Vorsitzender der Initiative „Gesicht zeigen – Aktion weltoffenes Deutschland“. Guten Morgen, Herr Heye!
Uwe-Karsten Heye: Ich grüße Sie!
Brink: Sie als ehemaliger Regierungssprecher unter Kanzler Schröder und amtierender Chefredakteur des „Vorwärts“ muss es doch schmerzen, dass die NPD in Sachsen die SPD bei der nächsten Landtagswahl am Sonntag vielleicht überholen kann. Die SPD hatte 9,8 und die NPD 9,2 Prozent vor fünf Jahren.
Heye: Schmerzen ist gar kein Ausdruck, die man haben muss, und nicht nur, weil möglicherweise die SPD übertroffen wird. Ich glaube, dass das in diesem Wahlkampf nicht der Fall sein wird, aber wenn nicht alles täuscht, wird der NPD der Wiedereinzug in den Landtag in Sachsen gelingen. Verhindern kann das nur eine hohe Wahlbeteiligung. Wer also wirklich verhindern will, dass die NPD wieder in den Landtag kommt, der kann sie wegwählen, indem er zur Wahl geht. Und alle, die nicht zur Wahl gehen, müssen sich vorwerfen lassen, dass sie indirekt damit die NPD stärken.
Brink: Sie haben sich 2006 sehr unbeliebt gemacht, als Sie ausländische Besucher vor bestimmten Teilen Ostdeutschlands warnten. Finden Sie so kurz vor der Landtagswahl in Sachsen und Thüringen im Osten des Landes immer noch „No-go-Areas“?
Heye: Na ja, ich weiß nicht, ob Sie sich das Missvergnügen gemacht haben, mal durch die Sächsische Schweiz zu fahren. Dort haben Sie den Eindruck, es gibt überhaupt nur eine einzige Partei, und das ist die NPD. Die gesamte Region ist mit Plakaten der NPD zugenagelt. Da wird gegen Ausländer gehetzt, Arbeit nur für Deutsche gefordert, zum Boykott ausländischer Produkte aufgerufen und diese menschenfeindlichen Parolen hängen an fast jeder Straßenlaterne. Keine andere Partei ist da erkennbar und ich kann dann nur sagen, wer das zulässt, dass hier eine sozusagen faktisch homogene kulturelle rechte Struktur entsteht, den kann ich nur warnen, wenn er eine andere denn eine weiße Hautfarbe hat und möglicherweise auch keine blauen Augen, da hinzufahren, denn da gibt es Leute, die sich damit brüsten, dass es eine ausländerfreie Zone ist. Nun ist das auch leicht zu behaupten, denn in den neuen Ländern gibt es ja relativ wenige Ausländer, jedenfalls nur in Promillegrößen. Von daher muss man diesem Slogan keine so große Bedeutung zumessen. Aber die Haltung, die dahinter steckt, die ist nach wie vor aggressiv, inhuman und rassistisch. Das ist so.
Brink: Aber wer wehrt sich denn nicht? Das ist doch auch zum Beispiel Ihre Partei, die SPD.
Heye: Ja und nein. Die SPD hat in Sachsen genauso wie in Thüringen oder in Mecklenburg-Vorpommern eine relativ geringe kleine Basis. Die Mitgliederzahl ist oft in allen drei Ländern, glaube ich, unterhalb dessen, was an Mitgliedern etwa in einem Unterbezirk in Dortmund an Mitgliederzahl zu finden ist. Von daher kann man und darf man sozusagen die SPD auch nicht überfordern. Das ist eine Frage, gelingt es, den demokratischen Parteien genug Strahlkraft wieder zu verleihen, sodass sie sich in diesen Regionen, in denen sich die NPD breit macht, auch wieder mit einer angemessenen Zahl von Mitgliedern sehen lassen kann und eine Gegenöffentlichkeit organisieren kann. Das kann zurzeit keine der demokratischen Parteien, das gelingt in der Sächsischen Schweiz noch nicht einmal der Linken oder der ehemaligen PDS. Also ich glaube, dass es notwendig ist, dass wir das als eine nationale Aufgabe begreifen, solche Räume kulturell für die demokratische Gesellschaft zurückzugewinnen, und davon sind wir in der Wirklichkeit noch weit entfernt.
Brink: Es ist ja – das sei hier erwähnt – übrigens kein Problem des Ostens allein. Kürzlich gab es auch einen Überfall auf einen ausländischen Familienvater durch NPD-Anhänger in Hamburg.
Heye: Das gibt es auch in Berlin jeden Tag und die NPD und die Republikaner und die DVU, das sind alles Gewächse aus dem braunen Sumpf der alten Länder. Also es ist nicht das Thema, dass man sozusagen mit dem Finger auf den Osten zeigt. Wir haben das gleiche oder ähnliche Probleme in vielen Regionen auch in der Bundesrepublik-Alt. Ich glaube, wir müssen uns auf den Weg machen, hier ernsthaft uns davon zu lösen, dass man nur mit Betroffenheitsrhetorik das Problem lösen kann. Wir brauchen eine angemessene Reform unserer Bildung und Ausbildung. Die bildungsfernen jungen Leute addieren sich mittlerweile auf mehr als 2,5 Millionen in Deutschland. Wohin wollen wir eigentlich noch gehen, wenn es darum geht, junge Menschen davon abzuhalten, nach rechts abzudriften.
Brink: Aber das muss man ja auch die etablierten Parteien fragen, denn das Problem ist doch: Die NPD bietet offenbar an, was andere nicht anbieten, zum Beispiel Fußballtourniere, Ferienfreizeiten, Zeitungen frei Haus. Das macht sie zum Beispiel in der Sächsischen Schweiz. Gibt es denn zu wenig Idealismus und ehrenamtliche Tätigkeit bei den etablierten Parteien?
Heye: Nein. Ich denke, wir kommen mit so einer Debatte ja nicht weiter. Wir haben nach wie vor eine Ost-West-Wanderung aus ökonomischen Gründen, die sich im Wesentlichen dadurch bemerkbar macht, dass die, die zurückbleiben, das Gefühl haben, sie haben nun gar keine Chancen mehr und sind zurückgelassen und alleingelassen.
Brink: Aber um die muss man sich doch kümmern vor Ort?
Heye: Ja, natürlich muss man sich um die kümmern. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Wir als Initiative tun unser Bestes, aber die zivilgesellschaftliche Unterstützung, die brauchen wir auf breiter Front und die muss man auch durch einen Demokratiegipfel, der meinetwegen in Berlin oder in Sachsen oder sonst irgendwo abgehalten wird, einklagen auch gegenüber den gesellschaftlichen Gruppen, die dazu die Macht haben, Wirtschaft, Kulturträger, der Bund und die Länder, wenn es nicht gelingt, dass einzelne Länder wie Sachsen oder Thüringen das Problem selber lösen können, und das ist offenkundig nicht der Fall.
Brink: Uwe-Karsten Heye, Vorsitzender der Initiative „Gesicht zeigen – Aktion weltoffenes Deutschland“. Vielen Dank für das Gespräch.
Heye: Es war mir ein Vergnügen.
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