Zwei Generationen – Ein Wunsch nach mehr Demokratie

Als Uwe-Karsten Heye vor über 20 Jahren den Verein Gesicht Zeigen! gründete, war sein Enkel Tim noch nicht mal geboren. Damals war es eine Welle von rassistischen Übergriffen auf offener Straße wie auch der Sprengstoff-Anschlag in Düsseldorf, was Heye gemeinsam mit Paul Spiegel und Michel Friedman zur Gründung des Vereins veranlasste. Und heute? Heute sind es Anschläge wie in Halle, Hanau oder auf Walter Lübcke, die uns zeigen, dass die Arbeit des Vereins weitergehen muss, da rechtsextreme Gewalt nach wie vor ein großes Problem in Deutschland darstellt. 
Gut, dass wir dabei zumindest schon Unterstützung vom Nachwuchs bekommen: Tim Heye, Uwe-Karsten Heyes 17-jähriger Enkel, hat gerade ein Praktikum in der Öffentlichkeitsarbeitsabteilung bei Gesicht Zeigen! gemacht. Und wir haben uns gefragt: Wie unterschiedlich oder auch ähnlich sind die politischen Ansichten der beiden – zwischen denen 63 Jahre liegen? Was motiviert sie, sich mit politischen Themen zu befassen und sich zu engagieren? Ein Interview von Lena Luisa Leisten.

Tim, was hat dich motiviert, ein Praktikum bei Gesicht Zeigen! zu machen? 

Tim: Ich wollte mich in meiner Facharbeit, die ich im Rahmen eines Schulpraktikums schreiben soll, mit dem Thema Antisemitismus in Deutschland beschäftigen. Das Thema ist mir wichtig, wahrscheinlich spielt hier auch meine Familie eine Rolle und Uwes politisches Engagement. Da war es dann naheliegend, mich auch bei „Gesicht Zeigen!“ zu bewerben. 

Inwieweit hast du dich mit der politischen Biographie beziehungsweise dem Berufsweg deines Großvaters befasst?  

Tim: Ich muss zugeben, dass ich erst im Rahmen des Praktikums dann Uwes Autobiographie „Und nicht vergessen“ herausgesucht habe, um mich ein bisschen mehr über seine Vergangenheit zu informieren. Abgesehen davon, dass Uwe im Jahre 2000 Mitbegründer von „Gesicht Zeigen!“ war, wusste ich natürlich auch, dass er in den 70ern als Pressereferent gearbeitet und Reden für Willy Brandt geschrieben hat. Aber da gibt es vieles, das ich noch dazulernen kann.   

Uwe, dein Berufsweg weist eine große Nähe zur SPD auf: Du warst unter anderem Regierungssprecher der Bundesregierung unter Gerhard Schröder. Heute kämpft die SPD dagegen mit einem sinkenden Wähler*innenzuspruch. Was hat sich verändert? Fehlt es der SPD an Figuren wie Willy Brandt?  

Uwe: Als ich in Tims Alter war, lautete die politische Forderung der SPD: „Der Himmel über dem Ruhrgebiet muss wieder blau werden!“ (Anm.: Zitat von Willy Brandt am 28. April 1961). Das hat mir gefallen. Das Ruhrgebiet war ja damals das westdeutsche Zentrum der Schwerindustrie Kohle und Stahl. Was da an schwarzen Giftwolken aus den Schloten kroch und die Umwelt vergiftete, fand ich furchtbar und viele Menschen erkranken bis heute daran. Die Erde zu schützen und zu wissen, dass wir keinen zweiten Planeten im Kofferraum haben, war für mich ein guter Grund, die SPD zu wählen. Wie es scheint, will die SPD im bevorstehenden Wahlkampf erneut das Klima zu einem zentralen Punkt machen. Gut so! Und ich hoffe, dass sie damit auch die jungen Wähler erreicht. 

In der Generation von Tim engagieren sich viele politisch, zum Beispiel bei Fridays For Future oder auch gegen Rassismus. Besitzt diese Generation ein besonderes politisches Bewusstsein? Und vermag ihr Engagement, auf politischer Ebene tatsächlich etwas zu verändern?  

Uwe: Ihr Engagement ist der Beweis dafür, dass sich all jene irren, die immer wieder – und durch alle Zeiten hinweg – behaupten, die Jugend „von heute“ sei egoistisch und interessiere sich nicht fürs Gemeinwohl. Die jungen Leute sollen laut und vehement ihr Recht auf eine gute Zukunft einklagen! Natürlich können sie was bewegen, das zeigt die Aufmerksamkeit, die Fridays For Future inzwischen hat. Sogar das Bundesverfassungsgericht macht jetzt der Politik Beine und verbietet es, die Vermeidung der Klimakatastrophe der nächsten Generation zu überlassen. 

Zwischen Dir und Tim liegen 63 Jahre. Spiegelt sich das in euren Gesprächen über Politik wider?  

Uwe: 63 Jahre sind eine lange Zeit. Mir ist schon klar, dass die Welt, in der ich 17, 18 war, gar nichts mehr mit der Lebensrealität der heutigen Jugendlichen zu tun hat. Das ist für mich ein ewiges Staunen: Mir wird auch in den Gesprächen mit Tim und den Jungs aus seiner Generation sehr deutlich, wie stark die Welt sich verändert hat. Und trotzdem bleibt manches im Kern doch gleich: Damals wie heute wünschen wir uns eine Welt in Frieden, Bildungsgerechtigkeit, Chancen für alle. Mich hat damals Willy Brandt, seine ikonische Geste des Kniefalls beim Staatsbesuch in Polen, tief berührt und davon überzeugt, dass gute Politik dabei helfen kann. Das versuche ich, auch Tim zu vermitteln und kann nur hoffen, dass es mir gelingt. 

Tim, würdest du sagen, dass wir bei politischen Themen, besonders der Klimakrise, einen Generationenkonflikt in Deutschland haben? 

Tim: Auch wenn viele in meinem Alter wesentlich leidenschaftlicher als ältere Generationen sind, was Themen wie zum Beispiel den Klimawandel angeht, kann ich die Haltung mancher Älterer schon auch nachvollziehen. Die Gefahr des Klimawandels existiert für sie eher in der Welt der Wahrscheinlichkeiten und Hypothesen. Wissenschaftliche Methode bergen immer auch eine Ungewissheit, die dazu verleitet, sie anzuzweifeln und den eigenen Lebensstil eben nicht radikal umzustellen, oder politische Veränderung mit anzutreiben. Allerdings möchte ich hiermit keinesfalls die Passivität gutheißen, die viele an den Tag legen, sondern vielmehr betonen, warum es vielen nicht leichtfällt, ein solches Problem ernst zu nehmen. Dazu kommt ja auch, dass der Klimawandel vermutlich erst in einiger Zeit den globalen Westen betreffen wird. Dies halte ich wiederum für den ausschlaggebenden Grund, warum besonders junge Menschen besorgt sind. Allerdings bemerke ich hier auch, dass manche in meiner Generation zwar besorgt sind, aber dennoch ein Konsumverhalten an den Tag legen, was ihre nach Außen getragene Haltung nicht gerade stützt. 

Uwe, Gesicht Zeigen! setzt sich gezielt gegen jegliche Form rechter Gewalt ein. Inwieweit hat sich diese Gewalt in den letzten Jahren verändert? 

Uwe: Die Reaktion auf Brandts Warschauer Geste war damals überwiegend positiv. Von Rechtsaußen tönte allerdings der Vorwurf, Brandt sei ein „Volksverräter“ und ebenso wurden Plakate mit der Aufschrift “Willy Brandt an die Wand“ geklebt. So ähnlich klingen die Rufe von jungen und alten Nazis bis heute. Nur die Kanäle sind andere, und da muss ich schon sagen, dass ich das Internet mit seinen gnadenlosen anonymen Hassparolen, mit seinen Chaträumen, in denen Rassisten und Nazis sich immer weiter hochschaukeln, für einen wirklich gefährlichen Ort halte. Da nutzt es nicht viel, wenn die marktbeherrschenden Anbieter Facebook, Instagram, WhatsApp, Google und YouTube sich jetzt darum bemühen, den Austausch von Hassmails zu unterbinden. Neue Kanäle schießen wie Pilze aus dem Boden und für rechtsradikale Meinungsbildung hat sich längst eine starke und weltweit aktive Netzwerkstruktur etabliert. Das besorgt mich sehr. 

Tim, inwieweit beeinflussen Digitalisierung und Soziale Netzwerke deiner Meinung nach heute die politischen Debatten? Haben Hassrede und Häme durch das Internet zugenommen? 

Tim: Zunächst habe ich angenommen, dass Social Media keinen neuen Hass erzeugt hat, sondern vielmehr bereits dagewesenen Hass enthüllt. Schon immer hatten Leute hasserfüllte oder unproduktive Beiträge zu politischen Debatten, sie können jetzt bloß von der ganzen Welt gelesen werden. Allerdings denke ich, dass sich grade auf Plattformen wie Twitter eine Fülle an Hass und öffentlichen Bloßstellungsversuchen sammelt und die Debattenkultur immens darunter leidet, da die lautesten und giftigsten Stimmen in vielen Fällen den Ton angeben und dominieren, wer im Diskurs ein Recht auf seine Stimme hat. Das macht es bei akuten Problemen wie dem Klimawandel oder der Pandemiebekämpfung selbstverständlich schwer, als Gesellschaft Lösungen zu finden. Die Anonymität im Internet erleichtert es zudem, Falschinformationen und menschenverachtende Thesen zu verbreiten, ohne dass mit sofortigen Konsequenzen gerechnet werden muss. Vor diesem Hintergrund frage ich mich, ob Hass und Häme durch Social Media dann nicht doch quantitativ zugenommen haben. Da bin ich mir nicht sicher. 

An euch beide: Wie muss politische Bildung und Gesicht Zeigen! jetzt und in Zukunft auf diese Entwicklungen reagieren? 

Tim: „Gesicht Zeigen!“ sollte eine sachlich-argumentative Stimme bleiben und auf allen Seiten des politischen Spektrums toxische Diskussionskultur verurteilen. 

Uwe: Mit der Gründung von Gesicht Zeigen! wollte ich sichtbar machen, dass viele an der Seite derer stehen, die Rechtsextremismus und antisemitischen und rassistischen Vorurteilen den Kampf ansagen. Das ist nun gut 20 Jahre Geschichte und wird weiter zu erzählen sein. Die Aufgabe bleibt, mit vielen anderen Initiativen zusammen Demokratie zu leben und zu fördern. Lieber Tim, auf die nächsten 20 Jahre!