Kommentar von Uwe-Karsten Heye zu „Reden über Nazis – der Störungsmelder“

 

Wenn man unserem gegenwärtigen Innenminister zuhört und seine öffentlichen Äußerungen zur Kenntnis nimmt, kann man den Eindruck haben, dass Deutschland unter einer dramatischen salafistischen Bedrohung steht. Aufpassen ja, übertreiben nein.

Die Welt ist im weltweiten Netz zum Dorf geschrumpft und alles, was derzeit passiert, scheint in der unmittelbaren Nachbarschaft zu sein. Der Bildersturm in Syrien und im Irak und die Hinrichtung nichtmuslimischer Gefangener beherrschen die Titelseiten der Blätter. Es gruselt und weckt zugleich eine Bereitschaft, allen die Tür zu weisen, die als Flüchtlinge bei uns Hilfe und Schutz suchen. Pegida verkrümelt sich gerade, aber die dahinter stehende dumpfe Abwehr wird bleiben. Wie mir scheint, steht dabei oft weder die politische Wahrnehmung, noch die mediale Verarbeitung in einem angemessenen Verhältnis zur Wirklichkeit. Und sie wird durch die Forderung nach Wiedereinführung der Datenvorratsspeicherung nicht besser.

Foto: Stephan Röhl

Uwe-Karsten Heye beim Störungsmelderabend am 17.03 in der Ausstellung 7xjung.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Seit die selbsternannten „Patrioten gegen die Islamisierung des Abendlandes“ begannen – mit kräftiger Unterstützung rechtsextremistischer Aktivisten – durch Dresden und Leipzig zu flanieren, versammelt sich vor Flüchtlingsheimen und Asylunterkünften ein wachsender rechtsextrem durchwirkter Mob, der sich mühelos von Parteigängern der neuen Nazis antreiben lässt.

 

In 95 Kommunen in der Bundesrepublik gibt es Initiativen gegen die Unterbringung von Flüchtlingen, die Hälfte davon verteilt sich mehrheitlich auf Sachsen, und zunehmend auch in Brandenburg und ehemals Ost-Berlin , verbunden mit erschreckender Hetze im Netz bei Facebook.

Der Rücktritt von Markus Nierth aus dem Ort Tröglitz in Sachsen-Anhalt, wo er ehrenamtlicher Bürgermeister war, ist schon wieder fast vergessen. Er wollte seine Familie den Drohungen und Bedrohungen der rechtsextremen Kameradschaften nicht länger aussetzen, die bis vor sein Wohnhaus angerückt waren, weil er sich dafür einsetzte, auch in seiner Kleinstadt 50 Flüchtlinge menschenwürdig unterzubringen. Die gleiche Erfahrung machte die Vizepräsidentin des Bundestages Petra Pau von den Linken.

Die nach wie vor härteste rechte Szene findet sich in Dortmund. Sie stellt dort Todeslisten ins Netz oder Todesanzeigen, die sich gegen Politiker und Journalisten richten, die sie als ihre Gegner ausgemacht haben. Mit Pegida schnellten rechtsextrem motivierte Straftaten erneut in  die Höhe. Nicht nur in Brandenburg erreichen sie im Fünf-Jahresvergleich den höchsten Stand seit 2007.

180 Todesopfer, die seit dem Mauerfall von Rechtsextremisten ermordet worden sind, zehn allein durch den Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) und hunderte, die teils schwer verletzt und traumatisiert solche Attacken überlebt haben: Für mich eine Bilanz, die klar macht, von welcher Seite die stärkste Bedrohung für den inneren Frieden ausgeht.

Erst recht, seit die „Alternative für Deutschland“ AfD  sich in den neuen Ländern als politische Heimstatt den alten und neuen Rechten andient und auf Konfrontationskurs gegen die Parteiführung unter Bernd Lucke geht. Dem wird in einer Resolution, die in Erfurt veröffentlicht wurde, „Technokratentum, Feigheit und Verrat an den Interessen unseres Landes“ vorgeworfen.

Weiter heißt es darin, zahllose Mitglieder würden die AfD entgegen der Tendenzen an der Spitze als „Bewegung unseres Volkes gegen die Gesellschaftsexperimente der letzten Jahrzehnte – Gender  Mainstreaming, Multikulturalismus, Erziehungsbeliebigkeit“ – verstehen, aber auch als „Widerstandsbewegung gegen die weitere Aushöhlung der Souveränität und der Identität Deutschlands“.

Zu den Erstunterzeichnern gehören der ehemalige Kommentator des „Tagessspiegel“ und Fraktionsvorsitzende der AfD im Brandenburger Landtag Alexander Gauland sowie die AfD-Chefs von Thüringen und Sachsen Anhalt.

Foto: Stephan Röhl

Geschäftsführung von Gesicht Zeigen! gemeinsam mit Störungsmeldern vor der Ausstellung 7xjung.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Wir reden über Nazis, heißt der „Störungsmelder“ im Untertitel. Es liegt an uns, ob wir zulassen, dass der Bürgerkrieg im Nahen Osten und der Strom von Flüchtlingen, der sich von dort auch auf uns zu bewegt, missbraucht werden kann, auch durch Äußerungen von Vertretern demokratischer Parteien, die nur Ressentiments bedienen. An der Spitze die der CSU und ihr Vorsitzender Seehofer, der „bis zur letzten Patrone gegen Einwanderung in unsere Sozialsysteme kämpfen“ will.

Bei der letzten Landtagswahl in Sachsen Anhalt hatte jeder fünfte Wähler unter 30 Jahren sein Kreuz bei der NPD gemacht. Sie blieb knapp unter der Fünf-Prozent-Hürde, hatte aber die jüngste Wählerschaft aller Parteien, die sich an der Wahl beteiligt haben.

Medien und Politik nahmen dieses – wie ich finde – dramatische Ergebnis nicht zum Anlass, sich die Frage zu stellen, ob und was daraus für Folgerungen zu ziehen wären bei Bildung, Schule, Elternberatung, Erwachsenenbildung, auch für Lehrlingsausbilder im dualen System.Alle, die sich beim Störungsmelder freiwillig und immer wieder bereit finden, an Schulen mit den Jugendlichen über Nazis zu reden, haben dazu wichtige Erfahrungen. Sie wissen vor allem wie wichtig es ist, mit den Jugendlichen und nicht nur über sie zu reden.