Ost und West sind sich einiger, als viele denken

Verlässlichkeit und nachhaltige Demokratiearbeit gehören zu den wichtigsten Bausteinen, um die Einheit tatsächlich zu vollenden.

Von Peter Ruhenstroth-Bauer 

Seit 34 Jahren ist nun der 3. Oktober der Tag, an dem die deutsche Einheit vollendet wurde – so steht es im Einigungsvertrag. Natürlich wissen wir alle, dass die deutsche Einheit noch längst nicht vollendet ist. Es lässt sich wohlfeil beschreiben, was Einstellung, Haltung zu unserem Land, was kulturell, wirtschaftlich und auch politisch Einheit bedeutet. Mit der Alltagsrealität in Deutschland hat das leider oft noch nichts zu tun. Meistens lese ich dann über ostdeutsche Befindlichkeiten und Reaktionen auf den Westteil der geeinten Republik. Ja, und auch ich komme mit manchen der Befindlichkeiten im Land von Spree und Elbe nicht klar. Aber das verengt doch den Blick erheblich, weil er einseitig ist.  

Schlagzeilen zu Erfolg der Rechtsextremen bei den Wahlen im Osten 

Zusammenwachsen und Einheit vollenden können wir doch nur gemeinsam. Gemeinsam heißt in diesem Fall, dem einen wie dem anderen zuhören und selbstreflektieren, mit welchen Urteilen und Vorurteilen man selbst agiert. Die jüngsten Wahlen in Brandenburg, Thüringen und Sachsen haben uns gezeigt, dass es offensichtlich egal ist, wenn der Verfassungsschutz in einem aufwendigen Verfahren Kandidat*innen oder eine Partei als gesichert rechtsextrem einstuft. Wenn gut ein Drittel der Wähler*innen sich daran nicht stört, sondern dennoch sein Kreuz dort setzt, wo Rechtsextremismus gesichert ist, dann stimmt dort etwas nicht – mit Einschätzungen, mit Beurteilungen, mit Erfahrungen in der Demokratie, mit Möglichkeiten der Mitwirkungen. Viele Kommentator*innen haben dies in den Wahlanalysen und Kommentaren zum Wahlverhalten deutlich markiert. Und die Ergebnisse der Landtagswahlen haben nicht nur bei uns die Schlagzeilen bestimmt.  

Wo bleibt der mediale Aufschrei zu Antisemitismus in NRW? 

Vielleicht ist Ost und West aber einiger, als man denkt. Nur man liest es nicht so häufig.
Eine Stude zu antisemitischen Überzeugungen im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen hat nur wenige Aufmerksamkeit in den Medien bekommen. Dabei sind die Zahlen erschreckend:  24% der Befragten haben demnach gefestigte antisemitische Überzeugungen. 47% forderten, einen „Schlussstrich unter die Vergangenheit“ des Holocaust zu ziehen. Befragt wurden Menschen im westdeutschen Bundesland Nordrhein-Westfalen. In der Studie wurde deutlich, dass hinsichtlich des Migrationshintergrundes keine signifikanten Unterschiede festgestellt werden konnten. Und damit ist auch klar, dass antisemitische Einstellungen nicht importiert werden, sondern in allen Bevölkerungsgruppen fest verankert erscheint.  

Erschütternde Ergebnisse, die mindestens einen gleich großen medialen Aufschrei bedurft hätten, wie die Wahlergebnisse gesichert rechtsextremer Parteien. Aber da ist die mediale Einheit dann auch nach 34 Jahren doch noch nicht so weit.  

Gesicht Zeigen! arbeitet seit 24 Jahren aktiv gegen antisemitische und rassistische Einstellungen in unserem Land. Viele der Empfehlungen aus der Studie zu Antisemitismus in NRW lesen sich wie das Arbeitsprogramm, dass das Team von Gesicht Zeigen! nun seit Jahrzehnten umsetzt: Bildungsangebote, Soziale Medien nutzen, spezifische Gruppen gezielt ansprechen, Demokratie als Lebensform fördern.  Die Analyse und die draus folgenden Konsequenzen sind klar – egal ob in West- oder Ostdeutschland. Die Rahmenbedingungen für diese Arbeit werden von der Politik aber immer wieder in Frage gestellt.

Verlässlichkeit und nachhaltige Demokratiearbeit gehören aber zu den wichtigsten Bausteinen, um die Einheit tatsächlich zu vollenden.