Von Charlotte Langenkamp
Obwohl große Terror-Prozesse gegen Reichsbürger*innen laufen, wird ihre Ideologie leider allzu oft als verworren verharmlost. Behörden und auch die Öffentlichkeit müssen Reichsbürger und ihre Straftaten aber endlich als das erkennen, was sie sind: rechtsextrem – und damit eine Gefahr für die Demokratie.
Die Reichsbürger sind kein neues Phänomen, doch seit der Coronapandemie lässt sich eine deutliche Radikalisierung beobachten. Das zeigt sich nun insbesondere in einer steigenden Zahl an Gerichtsprozessen. In denen geht es auch um die Ideologie der Reichsbürger. Erst kürzlich hat das Oberlandesgericht München Julian V. wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verurteilt. Er soll Teil einer Reichsbürger-Gruppe sein, die plante, Gesundheitsminister Lauterbach zu entführen, durch Anschläge die Stromversorgung in Deutschland zu zerstören und sich durch einen Putsch an die Regierung zu bringen.
Der Vorsitzende Richter in München nannte das Weltbild von Julian V. und seinen Mitverschwörer*innen „ungewöhnlich“. Der Verfassungsschutz schreibt in einem Dossier über die Reichsbürger, ihre Ideologie sei „verworren“. Tatsächlich werden Reichsbürger in der Öffentlichkeit häufig verharmlosend als “Spinner” abgetan. Was dabei nicht gesehen wird: Die Reichsbürger-Bewegung weist vielfache Überschneidungen zum Rechtsextremismus auf, die Phänomene sind sowohl personell als auch ideologisch eng verknüpft.
Reichsbürger und Rechtsextreme ideologisch und personell eng verknüpft
Beide lehnen die Demokratie und das Grundgesetz ab und wünschen sich autoritäre Führungspersönlichkeiten und ein historisches deutsches Reich zurück. Sie verharmlosen die Verbrechen des Nationalsozialismus, indem sie sich zu Widerstandskämpfern und politisch Verfolgten stilisieren. Sie teilen die gleichen Feindbilder und Verschwörungserzählungen von geheimen Eliten und bösen Mächten, die dem deutschen Volk seine wahre Souveränität verwehren würden. Spätestens hier zeigt sich auch ihr Antisemitismus. Und die Reichsbürger sind, wie im klassischen Rechtsextremismus auch, besessen vom Thema Abstammung und teilen ein rassistisches Weltbild. Wer zum deutschen Reich gehört und wer nicht, bestimmt ihrer Ansicht nach die Volkszugehörigkeit und nicht die Staatsbürgerschaft.
Die ideologischen Gemeinsamkeiten sind also nicht zu übersehen. Und auch personell gibt es enge Verflechtungen. Eine der Hauptangeklagten im Reichsbürgerprozess gegen die Gruppe Reuß ist die ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete und Richterin Birgit Malsack-Winkemann. Zum Unterstützerkreis der Reuß-Gruppe gehört auch Frank Haußner, Kopf der rechtsextremen Gruppen „Freies Thüringen“ und „Patrioten Ostthüringen“ mit engen Kontakten ins Neonazi-Milieu. Auch das Compact Magazin, das sich selbst „Magazin für Souveränität“ nennt und gegen das Verbotsbemühungen im Bundesinnenministerium laufen, vereint zwei zentrale Ideologieelemente der Reichsbürger und Rechtsextremen: Verschwörungsideologien rund um ein angeblich von fremden Mächten beherrschtes Deutschland sowie ein aggressives Anti-Establishment-Narrativ, nach welchem „die Eliten” den „wahren Volkswillen” unterdrücken würden.
Trotzdem trennen die Sicherheits- und Ermittlungsbehörden in Deutschland weiterhin zwischen Reichsbürgern und Rechtsextremen. Der Verfassungsschutz behauptet, bei der Mehrheit der Reichsbürger seien rechtsextreme Ideologieelemente nur gering ausgeprägt. Das Bundeskriminalamt rechnet Straftaten aus dem Reichsbürgermilieu ebenfalls nicht zum Rechtsextremismus dazu.
Künstliche Trennung macht Gefahr des Rechtsextremismus kleiner als sie ist
Die künstliche Trennung hat zwei Konsequenzen: Zum einen erscheinen Reichsbürger als „unpolitische Extremisten“, sie werden als Spinner verharmlost und ihre Demokratie- und Menschenverachtung verschwindet in der „sonstigen Zuordnung“ der BKA-Fallzahlen. Zum anderen erscheint das Problem des Rechtsextremismus dadurch viel kleiner als es eigentlich ist. Die Zahlen von Rechtsextremen und der von ihnen verübten Straftaten müsste eigentlich um die Zahlen der Reichsbürger und den von ihnen verübten Straftaten ergänzt und deutlich nach oben korrigiert werden. Nur so lässt sich ein realistisches Bild der Bedrohung zeichnen. Reichsbürger müssen endlich als das anerkannt werden, was sie sind: Eine Ausformung des sich stetig wandelnden und immer stärker ausdifferenzierten Rechtsextremismus.
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Charlotte Langekamp ist Referentin für Rechtsextremismusprävention bei Gesicht Zeigen!. Mehr zu ihrer Arbeit ist hier zu lesen.