Jetzt ist es raus: Die neue schwarz-gelbe Bundesregierung legt neuen Schwerpunkte auf „Extremismusbekämpfung“. Die heutige TAZ berichtet, dass die bisherigen Programme gegen Rechtsextremismus auch zum Kampf gegen Linksextremismus und Islamismus genutzt werden sollen. Dazu erklären wir:
Diese Pläne der neuen Bundesregierung sind ein verheerendes Signal und gehen an der Realität vorbei. Seit 1993 sind über 140 Menschen durch rechte Gewalt ums Leben gekommen. Uns sind keine Todesopfer durch linksextreme Gewalttäter bekannt. Mit der Gleichsetzung von Rechts- mit Linksextremismus wird außerdem die Gefahr des Nationalsozialismus relativiert.
Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus bedrohen unsere Gesellschaft und unsere Demokratie. Jährlich werden über 1.000 Menschen Opfer rechter Schläger. Obdachlose, Punks, Homosexuelle und Schwarze – kurz: jeder, der den Schlägern nicht ins Weltbild passt, kann zum Opfer werden. Die rechtsextremistisch motivierten Straftaten sind in 2008 um 15% gestiegen im Vergleich zum Vorjahr auf 19.894 Delikte, die darin enthaltenen Gewalttaten sind um 6,3% gestiegen auf 1.042 Gewalttaten. Straftaten mit linksextremem Hintergrund sind im gleichen Zeitraum auch gestiegen und zwar um 13% auf insgesamt 3.124 Delikte, die Gewaltstraften in diesem Bereich haben allerdings um 15,8% abgenommen und liegen bei 701 Delikten.
Auf den Straßen mobilisiert die extreme Rechte in letzter Zeit wieder verstärkt mit großem Erfolg. Nach einem Brandanschlag mit drei Verletzten auf die rechte Szenekneipe „ Zum Henker“, für den die Neonazis “Linksextremisten” als Täter beschuldigten, marschierten am 10. Oktober 700 Neonazis durch Berlin.
In Leipzig zogen am 17. Oktober ca. 1.200 Neonazis durch die Stadt.
Für den 7. November ist in Halle ein Naziaufmarsch geplant, veranstaltet von den Jungen Nationalen unter dem Motto „wir sind ein Volk“.
Für den 14. November, dem Vortag des Volkstrauertages, mobilisiert die rechte Szene zum Soldatenfriedhof nach Halbe unter dem Motto „Ruhm und Ehre den deutschen Frontsoldaten und europäischen Freiwilligen“.
Schon jetzt wird für den 13. Februar 2010 nach Dresden mobilisiert. An diesem Datum jährt sich zum 65. Mal die Bombardierung Dresdens durch die Alliierten und die rechte Szene veranstaltet jährlich einen Trauermarsch durch die Stadt.
Nur zur Erinnerung: in diesem Jahr kam es dabei zu dem Überfall auf einen Gewerkschaftsbus.
Bei der Bundestagswahl blieb die NPD im Schnitt unter 2 %. Aber auch das ist kein Grund zur Freude: Sie erhält mit einem Ergebnis von bundesweit 635.437 Stimmen bei der Bundestagswahl und den Stimmengewinnen aus den Landtagswahlen 2009 nach den Berechnungen der Tageszeitung „Die Welt“ vom 28.9.2009 mehr als eine Million Euro aus Steuergeldern, weil jede Stimme mit 0,85 Cent vergütet wird. Sie kann also weiter Schulhof-CDs herstellen und verteilen, den Kauf von Schulungszentren vorantreiben und Basisarbeit vor Ort machen, sie kann Fußballturniere unterstützen, Kinderfeste veranstalten und Hausaufgabenbetreuung anbieten – und dabei ihre menschenverachtende Propaganda verbreiten.
Die Gleichsetzung von Rechts- und Linksextremismus führt zur Bagatellisierung der Gefahr, die von den neuen Nazis ausgeht. Doch geht es nach den Plänen der zukünftigen Bundesregierung werden die Mittel im Kampf gegen Rechtsextremismus zukünftig gegen „jede Form von Extremismus“ eingesetzt – ausdrücklich genannt werden Linksextremismus und Islamismus.
Wir fordern die neue Bundesregierung auf:
Der Kampf gegen Neonazis – ob in Anzügen oder Springerstiefeln – braucht einen langen Atem. Daher fordern wir die konsequente Weiterführung der Programme. Projektarbeit braucht Planbarkeit und Perspektive und ist eine wichtige Investition in die Zukunft. Das verlangt nicht nur zivilgesellschaftliches ehrenamtliches Engagement, sondern auch hochqualifiziertes, professionelles Arbeiten, langfristige Planungssicherheit und verlässliche Partner vor Ort.
Wir erwarten von der neuen Bundesregierung, dass auch sie das Problem des Rechtsextremismus in Deutschland ernst nimmt. Wir erwarten, dass sie die Akteure der Zivilgesellschaft, die Profis in den NGOs und vor allem: die Opfer der rechten Schläger nicht allein lässt, sondern dass sie sinnvolle und strategische Ideen umsetzt, dauerhaft sichert und finanziert.
Die Bundesprogramme für die Arbeit gegen Fremdenfeindlichkeit, Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus müssen diese Schwerpunkte behalten, sie müssen verstetigt werden, ihren provisorischen Modellcharakter verlieren und eine Chance auf institutionelle Förderung, unabhängig von Haushaltslagen, Programmentwürfen oder ministeriellen Befindlichkeiten erhalten. Denn sie leisten eine grundlegende Arbeit für die Demokratie und das Gemeinwesen!
Berlin, 23. Oktober 2009
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Sophia Oppermann
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