von Uwe-Kartsen Heye
Nun ist es wohl endgültig nicht mehr zu übersehen: Die Republik hat ein Rechtsradikalen-Problem. Damit ist hoffentlich die Zeit vorbei, in der sich Bürgermeister und Landespolitiker vor allem in Ost, aber auch in West wegducken. Reflexartig wurde reagiert und bagatellisiert.
Wer etwa in Mecklenburg-Vorpommern genau hinsieht, wird erkennen, dass es braune Flecken im Land gibt, wo die NPD bis zu fast 40 Prozent der Wählerstimmen auf sich vereint. Das ist schlimm – noch schlimmer ist, dass daran Jungwähler überproportional beteiligt sind.
Die demokratischen Parteien werden sich nun mit den Hitler-Karikaturen in der NPD auseinandersetzen müssen.
Sie werden sich davor grauen, durch diese gottverlassenen Gegenden zu ziehen, in denen die NPD als letzte Sozialstation Wärme verbreitet mit ihren kalten Parolen. Soziale Kälte dürfte die überwiegende Empfindung der verbliebenen Jugendlichen sein und Zuwendung das letzte, was sie kennen oder erwarten können. Daher fahren sie ab auf die NPD.
Zu glauben, hier wäre eine kurzfristige Rückholaktion aus der rechtsextremen Ecke in die demokratische Mitte möglich, ist reine Illusion. Das demokratische Deutschland muss damit rechnen, dass es wenn nicht alle, dann doch die meisten Jungwähler der NPD in Mecklenburg-Vorpommern verloren hat. Zu spät.
Was wir also brauchen, wäre ein großes, möglichst parteiübergreifendes nationales Gespräch darüber, was die Gründe für den rechtsextremen Aufbruch sind und wie er gestoppt werden kann. Auch in Berlin gäbe es dafür Anlass. Die Gründe sind in Lichtenberg, Marzahn-Hellersdorf, Neukölln, Pankow und Treptow-Köpenick zu suchen, in deren Bezirksparlamenten rechtsextreme Parteien einziehen. Es würde sich zeigen, dass es ein giftiger Strauß von Motiven und Begründungen ist, der junge Leute nach rechts treibt – und dabei würde endlich auffallen, dass es die Welt der Erwachsenen ist, die sie zu Nazis macht.
Was wir auch brauchen, ist ein Schulsystem, in dem die Schwächeren nicht einfach nach unten weitergereicht werden können – und am Ende ist festzustellen, dass sich keiner um sie kümmert. Wie sonst wären diese grauenvollen Zahlen erklärbar, dass zwischen 10 und 20 Prozent jedes Schülerjahrgangs die Schule ohne Abschluss verlassen?
Wir brauchen eine Reform der Kinderbetreuung und eine Kindergartenpflicht, die vor allem Einwandererkindern die Chance zu sozialer Einübung und zu Spracherwerb in ihrer neuen Heimat gibt. Dazu bedarf es mehr Personals. Und warum nicht auch bei unseren jung gebliebenen Zwangsrentnern Paten gewinnen? Diese könnten sich liebevoll den Kindern zuwenden, deren Eltern mit drei Jobs zum Überleben der Familie beitragen und für sie keine Zeit mehr haben. Trotz des dreigliedrigen Schulsystems (das Finnland, der Sieger der Pisa-Studie, längst hinter sich gelassen hat) könnten wir etwas tun. Und damit den Anteil von 40 bis 50 Prozent der Einwandererkinder, die heute in deutschen Schulen ohne Lernerfolge und ohne Abschluss bleiben, auf ein Minimum reduzieren.
Eine nationale Strategie gegen Rechts ist überfällig. Deren materielle Ausstattung wäre besser über eine Stiftung als über die Haushalte von Bund oder Ländern zu finanzieren. Sie erfordert mehr intellektuelle Anstrengung als den erneuten Ruf nach einem NPD-Verbot. Wichtiger wäre dagegen, wenn ab sofort Staat und Gesellschaft Regelverletzungen oder gar Gewalt nicht mehr dulden würden – sondern mit aller erdenklichen Härte dagegen vorgingen.
Der verstorbene Bundespräsident Johannes Rau hat vor sechs Jahren in einer seiner Berliner Reden von der „Scham aller Patrioten“ darüber gesprochen, dass Neonazis „national befreite Zonen“ ausrufen. Er hat betont, damit sei der Rechtsstaat herausgefordert.
Das war damals richtig – und ist es heute erst recht.
Uwe-Karsten Heye, Erster Vorsitzender von Gesicht Zeigen!