Kommentar: Neue Studie über rechtsextreme Einstellungen oder die Sorgenlandschaft der Deutschen

von Uwe-Karsten Heye

Wer den Versuch macht, das gegenwärtige gesellschaftliche Klima in Deutschland zu beschreiben, findet  dazu in der aktuellen Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung über rechtsextreme Einstellungen in Deutschland einige Hinweise. Es ist die fünfte Studie der Ebert-Stiftung, als Herausgeber in Zusammenarbeit mit der Universität Bielefeld, die antidemokratische Einstellungen in der Bevölkerung untersucht.

Schwerpunkte der Studie sind Rechtspopulismus, neue rechtsextreme Einstellungen und deren Überlappung sowie Verschwörungsmythen in der Mitte der Gesellschaft. Unter der alarmistischen Überschrift „Verlorene Mitte/Feindselige Zustände“ untersuchen die Autoren der Studie die Tiefe der Spaltung“ der gesellschaftlichen Mitte, und ob demokratische Qualität verloren gegangen ist und ob dazu das Demokratiemisstrauen und illiberale Haltungen gewachsen sind.

Titel der Studie (“Verlorene Mitte“) und manche Inhalte („Feindselige Zustände“) allerdings driften auseinander. 72 Prozent der Befragten halten es zum Beispiel für unerlässlich, dass Deutschland demokratisch regiert wird und 80 % sind überzeugt, dass in der Demokratie die Würde und Gleichheit der Menschen an erster Stelle steht. Dagegen würden zehn Prozent den Führer-Staat und eine Einheitspartei als die beste Regierungsform vorziehen. Fremdenfeindliche Ansichten äußern gut 17 Prozent/West und 22 Prozent/Ost. Antisemitismus (5,1 Prozent) kehrt wieder als Israelkritik (23,7 Prozent), die dem Satz zustimmen, die rechtspopulistische Politik gegenüber den Palästinensern der gegenwärtigen Regierungsmehrheit unter Ministerpräsident Netanjahu sei vergleichbar mit der Judenverfolgung und fabrikmäßigen Ermordung der Juden im NS-Staat.

Insgesamt allerdings ist diese neue Studie eher irritierend und erneut zeigt sich, dass der Begriff der „demokratischen Mitte“, die dazu auch noch „verloren“ gegangen sei, wenig beiträgt, die innere Zerrissenheit der Gesellschaft zu beschreiben, die sich in den Ergebnissen spiegelt. Die Zustimmung zur demokratischen Verfassung der Gesellschaft durch die große Mehrheit der Befragten, die doch weit über die Mitte der Gesellschaft hinausweist, hätte Anlass sein können, die innere soziale Zerrissenheit genauer unter die Lupe zu nehmen, die Nachfragen geradezu aufzwingen und, dass zeitgleich das Vertrauen in die sogenannten „Volksparteien“ massiv zurückgeht, wobei Sozialdemokraten vor allem unter dem Wählerboykott leiden. Höchstens noch zwischen 15 und 20 Prozent der Wähler/innen erkennen, dass ihre Interessen noch von der „linken“ Volkspartei zumindest wahrgenommen werden. In der sich abzeichnenden alternden Gesellschaft sind auch CDU/CSU als Bürgerblock ebenfalls von Schwindsucht erfasst. Auch er ist geschwächt.

Gibt es also eine Korrelation zwischen der Krise der demokratischen Parteien einerseits und der Zunahme der Wahlbürger, die sich nicht mehr parteipolitisch vertreten fühlen? Und könnte es auch die Lautstärke betreffen, mit der der rechtspopulistische Block online im Netz hörbar ist und die SPD gleichzeitig zum immer kleineren Juniorpartner in der großen Koalition degeneriert? Schweigen aber darüber, wenn Digitalisierung aller Lebensbereiche 80 Prozent der Jobs gefährdet? Statt die Sorgen der Menschen aufzunehmen, bilden Politik und Wirtschaft den Chor, alles zu tun, das digitale Jahrhundert möglichst vor allen anderen Konkurrenten zu erreichen.

Die Ökonomisierung der Gesellschaft, in der die ökonomischen Eliten jede Mitverantwortung für soziale Gerechtigkeit ablehnen oder verweigern, führt unter anderem dazu, dass die Menschen den Parteien Lösungskompetenz für die großen Probleme absprechen. International wächst nationaler Egoismus, America first, und Großbritannien zerstört auf dem Weg in den Brexit seine politische Glaubwürdigkeit. Auch dies wird die Sorgen der wechselnden Belegschaft der Mitte der Gesellschaft beeinflussen. Die Studie verschweigt also mehr als der alarmierende Titel erkennbar macht. Die Sorgenlandschaft der Deutschen ist größer und weist über die Mitte der demokratischen Gesellschaft weit hinaus.