„Corona-Proteste“, Verschwörungsideologien und ihre Auswirkung auf unsere Gesellschaft

Eine Einschätzung von „United! Gemeinsam gegen Rechtsextremismus“

In vielen Städten Deutschlands versammeln sich zurzeit Menschen, um gegen die behördlichen Hygienemaßnahmen im Rahmen der Covid-19-Pandemie zu protestieren. Wer sich dabei die Demonstrationen genau anschaut, sieht, wie sich dort verunsicherte Menschen einhellig neben Reichsbürger*innen, Rechtsextremist*innen, Hooligans und Verschwörungsideolog*innen stellen. Besonders die Verschwörungsideologien über geheime Pläne zur Kontrolle der Gesellschaft haben dort Konjunktur. Einige Beobachter*innen sprechen bereits von einem neuen „Pegida-Moment“. Was bedeutet das für unser demokratisches Miteinander und wie konnte es überhaupt so weit kommen?

Dabei ist hervorzuheben: Schon vor der Covid-19-Pandemie waren Verschwörungsideologien in der Gesellschaft weit verbreitet. Die „Mitte-Studie“ der Universität Bielefeld, die seit 2006 Zustimmungen zu gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit in der deutschen Bevölkerung misst, wurde in ihrer letzten Ausgabe von 2018/19 um die Kategorie der Verschwörungsideologien erweitert. Die Studie stellte fest, dass 38,5% der befragten Personen verschwörungsideologischen Aussagen zustimmte. Knapp 33% der befragten Personen glaubte sogar, dass Politiker nur Marionetten geheimer Mächte seien. Das verschwörungsideologische Fundament für die sogenannten „Corona-Proteste“ bestand also bereits.

Verschwörungsmythen in Krisenzeiten
Verschwörungsideologien gedeihen aber besonders gut in Krisenzeiten. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 wurde beispielsweise behauptet, die Türme des World Trade Center seien von geheimen Mächten gesprengt worden. Eine haltlose These, die dennoch weiterhin Verbreitung findet. Während der sogenannten „Flüchtlingskrise“ von 2014/15 fabulierten Rechtsextremist*innen vom „großen Austausch“, einer angeblich vorsätzlich gesteuerten Migration durch eine geheime Elite. An diesen Beispielen zeigt sich auch der antisemitische Charakter von Verschwörungsideologien, da diese geheime Eliten und Mächte meist ein Platzhalterbegriff für jüdische Menschen sind. Nun also die Krise der Covid-19-Pandemie, die alle Bereiche unseres Lebens fundamental verändert und viele Menschen verunsichert hat. Vieles über das SARS Cov2-Virus ist noch nicht erforscht, ein Ende der Krise kann somit nicht terminiert werden. Ein perfektes Biotop für Verschwörungsideologien und ihre Propagandist*innen.

Eine hohe Dynamik
Vieles an den aktuellen Protesten erinnert dabei an die sogenannten „Friedensmahnwachen“ von 2014 oder an die Anfangszeit von „Pegida“ im gleichen Jahr. Damals wie heute zeigt sich eine heterogene Masse an Demonstrierenden auf der Straße, unter denen sich auch Rechtsextremist*innen unbehelligt tummeln. Es wird von einer großen Verschwörung der Eliten, Politik und Medien gegen die Bevölkerung gesprochen und gleichzeitig betont, die Proteste seien weder links noch rechts. Und schon wieder hört man die Sprechchöre „Merkel muss weg“ und „Wir sind das Volk“.

Aber nicht alles ist wie 2014. Die aktuellen Corona-Proteste sind von einer enorm hohen Dynamik geprägt. Das liegt auch an prominenten Influencer*innen und Verschwörungsideolog*innen, die ihre eigenen Chatgruppen und Infokanäle auf dem Messenger-Dienst Telegram gegründet haben. In diesen Gruppen überhäufen sie ihre Anhänger*innen mehrmals täglich mit neuen Verschwörungsideologien und rufen wiederholt zu Protesten gegen die angebliche „Corona-Diktatur“ auf. Viele dieser Chatgruppen haben dabei mehrere zehntausend Follower*innen. Parallel existiert mit YouTube-Kanälen, Facebook-Gruppen und Internetblogs eine regelrechte digitale Informationsindustrie, die Verschwörungsideologien propagiert und sich stets auf sich selbst bezieht. So kommt sie fast komplett ohne Nachrichten aus dem etablierten, faktenbasierten Journalismus aus und bietet den Leser*innen ein klar gezeichnetes Weltbild, in der böse Eliten das einfache Volk unterdrücken.

Prominente Anhänger*innen dienen als Legitimationsquelle für den angeblichen Wahrheitsgehalt der kruden Thesen und verbreiten sie unter ihren Fans weiter. Mit den Corona-Protesten verlassen die Verschwörungsideologien nun den digitalen Raum, in dem sie sich zuvor ausbreiten konnten. Dort kommen sie in Kontakt mit den Menschen, die vielleicht zunächst nur aus Interesse oder aus Sorge um ihre berufliche Zukunft teilgenommen haben. Und so stehen nun besorgte Menschen neben Ideolog*innen, die unerträgliche Shoa-Relativierungen betreiben, die von Deutschland als Diktatur sprechen oder die für rechtsextreme Ansichten stehen. Genau hier besteht die große Gefahr für unser demokratisches Zusammenleben: Verschwörungsideologien und rechtsextreme Thesen erhalten ein Einfallstor in gesellschaftliche Sphären, die ihnen sonst verschlossen bleiben. Gleichzeitig besteht die Gefahr, dass sich durch die Proteste einige Menschen weiter bestätigt fühlen und sich radikalisieren. Ähnlich den asylfeindlichen Protesten von 2014/15, aus deren Mitte mehrere rechtsterroristische Gruppen, wie die „Gruppe Freital“, entsprungen sind.

Die Fehler im Umgang mit „Pegida“  nicht wiederholen
Für uns als Gesellschaft heißt es hier, Haltung zu zeigen und Position zu beziehen. Demokratische Proteste gegen die Hygienemaßnahmen und Kontaktbeschränkungen muss ein pluralistischer Rechtstaat aushalten können. Der Protest verliert aber seine moralische Legitimität, wenn er Vorschub für antisemitische Verschwörungsideologien oder Reichsbürger-Thesen leistet. Jeder Protest, der Antisemit*innen, Verschwörungsideolog*innen und rechtsextreme Kader duldet, wird zu einem Vehikel für genau diese demokratiefeindlichen Akteur*innen. Hierauf muss immer wieder hingewiesen und eine klare Distanzierung der Protestierenden erwartet werden, wenn sie ernstgenommen werden wollen.

Gleichzeitig gilt es, die Fehler im Umgang mit „Pegida“ nicht zu wiederholen. Ähnlich wie damals argumentieren heute viele lautstark, es gäbe keine Meinungsfreiheit mehr in Deutschland und wir befänden uns in einer Diktatur. Die Tatsache, dass Demonstrationen im kleinen Rahmen in Absprache mit den Hygienemaßnahmen genehmigt werden, beweist, dass dies nicht stimmt. Zudem zeigt die Vielzahl an Meinungsäußerungen über Telegram, YouTube, Facebook oder Blogs, dass eine Zensur auch weiterhin nicht stattfindet. Meinungsfreiheit bedeutet aber nicht, dass kein Widerspruch erlaubt ist. Verschwörungsmythen und -ideologien sollten immer klar widersprochen werden, denn auch das ist Meinungsfreiheit nach Artikel 5 des Grundgesetzes. Jenes Grundgesetz, das so viele Teilnehmer*innen der Corona-Proteste zurzeit bei den Protesten als Buch offen mit sich führen.

 

Zu United – Gemeinsam gegen Rechtsextremismus:
Gemeinsam mit vier anderen Trägern ist Gesicht Zeigen! Teil des Kompetenznetzwerks Rechtsextremismusprävention. In diesem Rahmen wird sich unser neues Projekt United! Gemeinsam gegen Rechtsextremismus mit rechtsextremen Erscheinungsformen und Strategien insbesondere im Kontext der Justiz und Wirtschaft beschäftigen. Mit innovativen Formaten, Veranstaltungen und Materialien wollen wir aufrufen, anzeigen und eingreifen gegen Rechtsextremismus und all seine Ausprägungen.

Photo: Adam Nieścioruk via Unsplash.