Wenn Gerechtigkeit auf der Strecke bleibt

Kommentar von Uwe-Karsten Heye

Immer wieder gibt es Gerichtsurteile, die zwar dem geltenden Recht genügen, aber die Hoffnung auf Gerechtigkeit nicht erfüllen können. Solche Botschaft ist auch angelegt in dem Fernseh-, Kino- und Theaterereignis „Terror“ aus der Feder von Ferdinand von Schirach, das einen Anschlag beschreibt, der nur durch Abschuss eines von einem Islamisten gekaperten Passagierflugzeugs zu verhindern ist. Schuldig oder nicht schuldig wird dem Publikum als Schöffen eines fiktiven Prozess zur Abstimmung vorgelegt.

Ebenfalls im Umfeld des rechtsextremen Terrors gab zeitgleich eine reale Gerichtsentscheidung, die ebenfalls ein Rechtsprinzip beschreibt. Es geht scheinbar nur um Sachbeschädigung. Allerdings wird von der Anklagebehörde das dahinter liegende Prinzip so exzessiv ausgelegt, bis es neues Unrecht produziert. Angeklagt ist Irmela Mensah-Schramm, eine liebenswerte ältere Dame, die seit Jahren in über 30 000 Fällen Hassparolen von Neonazis von Häuserwänden kratzt oder übersprüht, die sie vorher fotografiert. Von den Fotos gibt es Wanderausstellungen, die von Schulen gebucht werden können. Irmela Schramm ist dabei oft Gast, um mit Jugendlichen über den um sich greifenden Hass auf Andersdenkende, auf Schwule und Lesben oder Farbige oder Antisemitismus und Fremdenhass zu reden. Sie erhielt dafür das Bundesverdienstkreuz und den Göttinger Friedenspreis.

Das Berliner Amtsgericht Tiergarten verurteilte sie im Mai wegen Sachbeschädigung, weil sie an der Wand eines Zehlendorfer Fußgängertunnels mit Hilfe einer Spraydose den Spruch „Merkel muss weg“ in „Merke! Hass weg!“ verwandelte. Das Gericht wollte das Verfahren ursprünglich einstellen, die zuständige 30jährige Staatsanwältin stimmte dem aber nicht zu. Die Anzeige von Anwohnern kam daher zur Verhandlung. Irmela Mensah-Schramm erhielt eine Verwarnung, die damit begründet wurde – wie der Berliner Tagesspiegel berichtet – dass eine durch den Spruch „Merkel muss weg“ bereits bestehende Sachbeschädigung – auch durch die Verwendung der auffälligen Farbe Pink – noch erweitert wurde. Für den Fall einer Wiederholung während einer Bewährungsfrist von einem Jahr droht Frau Mensah-Schramm eine Geldstrafe von 1800 Euro. Das war der Staatsanwältin offenbar zu wenig, sie legte fristgerecht gegen die Entscheidung des Gerichts Berufung ein. Es geht also zurück an das Gericht.

Was sagt dieses Urteil aus? Wer am Wochenende nach Dresden schaute, konnte zusehen wie die rechtsextremen „Europäischen Patrioten“ zwei Jahre PEGIDA feierten. Ungestört von Polizei und Justiz können sie in der sächsischen Landeshauptstadt am 3. Oktober unangemeldet demonstrieren, und dabei mit Hassparolen ihre Wut gegen alles, was dem Sachsen fremd ist, zum Ausdruck bringen. Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit steht auf der Tagesordnung und erfährt weder durch Polizei noch durch konservative Politiker angemessenen Widerspruch. Seit Jahren und ebenso ganz aktuell gibt es in Dresden Anschauungsunterricht, wohin es führt, wenn Menschen, die gegen Neonazis aufstehen, dennoch als die eigentlichen Störenfriede gelten. Dies findet sich nicht nur in Sachsen. Den Terror gegen Flüchtlinge und ihre Unterkünfte gibt es leider fast überall.

Ich weiß, dass Irmela Mensah-Schramm sich nicht einschüchtern lassen wird. Ich habe sie bei Gelegenheit kennenlernen können. Sie zeigt Gesicht und ist in der Auseinandersetzung gegen den Rechtsextremismus unbeugsam. Das Unverständnis einer Staatsanwältin lässt den Verdacht zu, dass für sie das Recht auf unbemalte Häuserwände nur dann gilt, wenn jemand Hassparolen übertüncht oder mit Bürste und Azeton Häuserwände oder Straßenlaternen von beleidigenden Parolen gegen Menschlichkeit und Menschenwürde reinigt. So lässt sich Recht zu Unrecht biegen, wobei Gerechtigkeit abhanden kommt.