Kein Anstieg rechtsextremer Gewalt?

Unsere Kritik an der PMK-Statistik
Logo von "united! - Gemeinsam gegen Rechtsextremismus

Jedes Jahr im Mai veröffentlichen das Bundeskriminalamt und das Innenministerium gemeinsam die Vorjahresstatistik zur politisch motivierten Kriminalität in Deutschland. Und jedes Jahr sollen die Zahlen als Weckruf und als Warnung gelten, dass die Demokratie auch hierzulande ihre Feinde hat und Gewalt gegen Minderheiten leider Alltag ist.

Denn die Zahlen zu politisch motivierter Kriminalität steigen seit Jahren, im Jahr 2021 sogar um über 23 Prozent. Dazu fanden Innenministerin Nancy Faeser und BKA-Präsident Holger Münch am Dienstag deutliche Worte. Fast schon ritualisiert wird auf das größte Gefahrenpotenzial, den Rechtsextremismus hingewiesen, die neue Innenministerin hatte sich die Bekämpfung des Rechtsextremismus ganz besonders auf die Fahne geschrieben. Und doch rechnen die Behörden das Problem mit rechtsextremer politisch motivierter Kriminalität klein und verwischen die zunehmende Bedeutung rechtsextremer Ideologie auch in der sogenannten bürgerlichen Mitte.

Die Statistiken zur politisch motivierten Kriminalität werden immer umfangreicher, die Ausführungen immer detaillierter. Und gleichzeitig wird die Erfassung der Straftaten unzureichender. Wie kann das sein?

Das hat vor allem einen Grund: Das BKA behauptet immer mehr Straftaten nicht zuordnen zu können. Eine steigende Anzahl an Straftaten, insbesondere stetig zunehmende Gewalttaten, würden also weder aus dem linken, dem rechten oder dem islamistischen Spektrum kommen. Gemeint sind dabei in allererster Linie Straftaten aus dem Umfeld von Anti-Corona-Maßnahmen-Demonstrationen, solche die von Querdenker*innen und sonstigen Demokratiefeind*innen begangen werden. Diese Proteste sind mittlerweile nahezu überall von Rechtsextremen gesteuert. Die Demonstrant*innen eint, entgegen einiger Selbstinszenierungen, ein verschwörungsideologisches, demokratieverachtendes und antisemitisches Weltbild. Straftaten, die aus diesem Umfeld heraus begangen werden, müssen deshalb als das gewertet werden, was sie sind: Ausdruck einer auf aktuelle Krisenhaftigkeit eingestellten extremen Rechten.

Dass Bundesinnenministerin Nancy Faeser und das BKA immer noch vor allem solche Straftaten als rechts zählen, bei denen die Täter*innen mit erhobenem Arm und „Heil Hitler“-Gebrüll vorgehen, ist im Jahr 2022 nur noch skandalös – und eine ernste Gefahr. Es konterkariert Nancy Faesers ansonsten wichtige Bemühungen, Rechtsextremismus endlich wirksam zu bekämpfen.

Ein trauriges Beispiel: Der Mord an Alex W., dem 20-jährigen Tankstellenmitarbeiter aus Idar-Oberstein, zählt nicht in die offizielle Statistik rechter Gewalt. Und dass, obwohl der Täter u.a. der Monitoring-Stelle CeMas als rechtsextremer Internet-Troll bekannt war.

Die Statistiken sind wichtig, insbesondere auch für die juristische Aufarbeitung von Rechtsextremismus. Doch nur ein Bruchteil rechter, rassistischer und antisemitischer Angriffe wird angezeigt. Wenn diejenigen, die es überhaupt in die Statistik schaffen, dann auch noch im Begriffswirrwarr völlig falsch zugeordnet werden, ist das für den gesamtgesellschaftlichen Kampf gegen Rechtsextremismus fatal. Eine Besserung ist dahingehend leider nicht in Sicht: Polizeibeamte sollen Straftaten in immer absurdere Kategorien einteilen. Im Jahr 2022 taucht beispielsweise erstmals die Kategorie „männerfeindlich“ im Erfassungskatalog auf.

Glücklicherweise gibt es noch die Berichte der Beratungsstellen für Betroffene rechter Gewalt. Sie führen ihre eigenen Statistiken und haben ein genaueres Bild davon, welche Rolle rechtsextreme Ideologie spielt und was das für die Opfer von Gewalttaten bedeutet. Der Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt (VBRG e.V.) erhebt die Fallzahlen von neun Bundesländern und registrierte im Jahr 2021 mindestens drei rechtsextreme Angriffe auf Menschen pro Tag, wobei, wie seit Jahren, Rassismus als Hauptmotiv erkannt wird. Ihre Arbeit ist als Korrektiv zu den staatlichen Statistiken unerlässlich und wird, das belegen auch die PMK-Zahlen aus dem Jahr 2021, immer wichtiger.