Diesmal möchten wir nicht Jugendliche für Phänomene der Erwachsenenwelt sensibilisieren, wie wir das normalerweise bei unserer Bildungsarbeit täglich tun, sondern umgekehrt.
Liebe Erwachsene!
Wir möchten euch ermutigen, unseren Teenagern – dieser sensiblen und durch die Corona-Krise extrem verunsicherten Altersgruppe – etwas mehr Aufmerksamkeit zu schenken.
Was uns beschäftigt und warum
Geschlossene Sporthallen, leerstehende Jugendklubs, abgesagte Praktikumsplätze, Maskenpflicht, Hausunterricht, Abstand halten zu den Freund*innen. Für Teenager bedeutet die Corona-Pandemie mit immer neuen Schutzregeln und Unklarheiten eine besondere Herausforderung. Eltern kümmern sich vor allem um den Job, die Finanzen und die jüngeren Geschwister. Schulleitungen erstellen wöchentlich neue Stundenpläne. Lehrkräfte vermitteln und fragen das Unterrichtsmaterial lobenswert ab. Es läuft also alles anscheinend vorbildlich: jeder geht in der Notsituation seiner Aufgabe nach. Nur ein Thema kommt zu kurz: Die Psyche der jungen Menschen.
Wir als Akteur*innen der außerschulischen Bildungsarbeit versuchen normalerweise, den wichtigen Austausch über Zusammenhalt und Respekt mit Jugendlichen zu führen. Doch gerade in dieser überfordernden Zeit, die unser Zusammenleben in Vielfalt vor ganz neue Fragen stellt, stehen wir vor einem großen Problem: wir erreichen unsere Zielgruppe nicht. Dabei wäre es gerade jetzt so wichtig, mit Teenagern über aktuelle gesellschaftliche Konflikte zu sprechen und ihnen dabei zu helfen, das Chaos um uns herum zu verstehen. Es ist aber immer schwieriger, den Kontakt zu unserer Zielgruppe aufrechtzuerhalten. Zwar ist unser Lernort 7xjung für einzelne, angemeldete Gruppen weiterhin mit entsprechenden Hygiene- und Abstandsregeln geöffnet, doch musste in den letzten Tagen fast jeder – für dieses Kalenderjahr gebuchte – Workshop von den Schulen abgesagt werden.
Was wir tun
Es bleibt also das Web-Seminar. Sowohl die Bildungsreferent*innen von 7xjung, als auch das Team unseres Projektes Die Freiheit, die ich meine bemühen sich gerade darum, Schüler*innen über neue digitale Formate zu erreichen. Wenn sie sich darauf einlassen. Wenn sie dazu technisch ausgestattet sind. Wenn sie für sich zu Hause eine ruhige Ecke finden, wo sie ungestört arbeiten können. Wenn, wenn, wenn…
Wir zerbrechen uns den Kopf darüber, wie wir die Aufmerksamkeit dieser jungen Menschen gewinnen könnten. Wir haben nämlich den Eindruck, dass die in Deutschland lebenden Teenies seit 9 Monaten von kaum jemandem gefragt werden, wie es ihnen eigentlich geht. Ob sie etwas beunruhigt. Wie sie beispielsweise mit der Angst umgehen, die Großeltern anzustecken oder selbst alleine in Quarantäne eingesperrt zu sein. Fachärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie erklären es wöchentlich in diversen Zeitungs- und Fernsehinterviews, wie schwer die diffusen Bedrohungsgefühle, die Corona auslöst, für viele Jugendliche auszuhalten sind. Diese Medienberichte scheinen aber Verantwortliche im Bildungswesen kaum zu erreichen.
Ganz wenige Schulen schaffen es, mindestens eine Klassenstunde in den wöchentlichen Stundenplan zu quetschen, an der Schüler*innen ihre Fragen, aber auch ihren Frust loswerden könnten. Zugleich darf keine einzige Klassenarbeit verpasst werden: Man will ja die unmögliche Situation vom vergangenen Frühling vermeiden, als man das Wissen und den Fleiß der Schüler*innen wegen fehlender Noten kaum bewerten konnte. Doch aktuell bleiben die wichtigen Angebote der außerschulischen politischen Bildung auf der Strecke – und damit der Raum zum Austausch über viele wichtige Fragen unseres Zusammenlebens.
Was Sie tun können
Die Welt steht Kopf. Viel mehr, als es für ein Teenagerleben angemessen wäre. Umso wichtiger ist es, dass wir uns jetzt intensiver um unsere Jugendlichen kümmern. Auch wenn wir es gerade nicht schaffen, ihnen weitreichende politischen Phänomene im Schatten der Pandemiebekämpfung genau zu erklären, sollten wir zumindest offene Ohren für sie haben.
Also liebe Erwachsene! Zeigt Gesicht und schenkt Aufmerksamkeit! Unsere Teenies brauchen uns.
Foto: Krisztian Bocsi