„Nachdenken über Rechtsextremismus“

Der 3. Integrationstag des Landesbeirates für Integrations- und Migrationsfragen fand in diesem Jahr zum Thema „Berliner Jugendliche gegen Rassismus“ statt.
Uwe-Karsten Heye,1. Vorsitzender von Gesicht Zeigen!, folgte der Einladung als Redner und sprach vor einem breiten Publikum in der „Werkstatt der Kulturen“.

Die vollständige Fassung seiner Rede finden Sie hier:

Uwe-Karsten Heye
Nachdenken über Rechtsextremismus

Zu den Merkwürdigkeiten dessen, was ich zu lernen hatte, als ich vor sechs Jahren die Initiative „Gesicht zeigen“ gründete, gehörte die Erfahrung, dass es in den ostdeutschen Ländern Fremdenfeindlichkeit ohne Fremde gibt. In Brandenburg kommen wir gerade mal auf 2,6 Prozent Auslän-der. Das ist die reale Zahl. In Umfragen vermuten Brandenburger hingegen, dass es 20 Prozent Fremde im Land gebe. Bei meinen Begegnungen mit brandenburgischem Schülern wird die Frage, Na, was glaubt ihr, wie viel Ausländer gibt es wohl in Brandenburg? locker mal mit „um die 50 Prozent“ beantwortet.

Nun ist Fremdenfeindlichkeit nicht gleichbedeutend mit Rechtsextremismus. Aber zum Rechtsextremismus, bei den Neonazis, gehört Rassismus, Fremdenhass und das Bewusstsein einer eigenen arisch-völkischen Überlegenheit immer zum Grundmuster der eigenen faschistoiden Einstellung. Aber Fremdenfeindlichkeit findet man auch in der Mitte der Gesellschaft, einer bürgerlichen Mittelschicht, die sich in Gesprächen und in einer ganz aktuellen Studie („Vom Rand zur Mitte“ / FES) ist das ablesbar, durchaus und entschieden von der Neo-Naziszene absetzen.

Die fremdenfeindliche Haltung in großen Teilen der Bevölkerung steht absolut quer zu den tatsächlichen, vor allem ökonomischen Interessen der Menschen. Die sich entleerenden Räume in vielen Regionen der fünf neuen Länder hätten nur dann eine Zukunft, wenn die tief sitzenden Vorurteile gegen den unmittelbaren Nachbarn im Osten, die Fremdheit zwischen Deutschen und Polen endlich aufgebrochen und überwunden würden. Städte wie Frankfurt/ Oder oder Görlitz können ein Lied davon singen, dass ihre Zukunft nur gesichert werden kann, wenn es gelingt, die Ostverschiebung der Europäischen Union nach Polen, Tschechien, Ungarn, den baltischen Staaten und demnächst Bulgarien und Rumänien zu nutzen, um auch von dort, auf Zeit oder auf Dauer Zuwanderung zu ermöglichen. Das grenzenlose Europa bietet unendliche Chancen und schafft doch vor allem Ängste, die manche Perspektive ersticken.

Was ich damit sagen will, selbst wenn es keinen anderen Grund gäbe als den schnöden ökonomischen Vorteil, den Einwanderungsgesellschaften vor den sich abschottenden und kulturellen Austausch zurückweisenden Gesellschaften haben, er wäre schon ausreichend, um Xenophobie, Fremdenfeindlichkeit also, zu bekämpfen. Selbstverständlich gehören auch ethische und moralische Begründungen dazu.

Wie das Bundeskriminalamt mitteilt, werden wir in diesem Jahr einen Rekord an rechtsradikalen Gewaltdelikten verzeichnen müssen. 20 Prozent über dem Vorjahr. Zugleich aber bedeuten die erschreckenden Zahlen ein Ende der verhuschten Zurückhaltung: Die NPD belagert vor allem Veranstaltungen der SPD, und der Leiter der Erinne-rungsstätte des KZ-Buchenwald, Professor Volkhard Knigge stellt fest, dass die Neonazi-Szene den Holocaust nicht mehr leugnet, sondern den Völkermord ganz offensiv als „notwendig“ bestätigt. Ich will Sie hier nicht mit Details belasten, die gleichwohl klar machen, dass die NPD zu einer offenen Kampfansage gegen das verhasste demokratische „System“ übergegangen ist. Hier ist der Rechtsstaat gefordert. Es gilt, keinen Millimeter zurückzuweichen, und gleichzeitig hoffe ich auf eine eindeutige politische Auseinandersetzung mit den neu in die Parlamente gewählten Nazis in Ostdeutschland und in den Bezirksversammlungen von Berlin. Ich bin nicht gegen einen erneuten An-lauf, die NPD zu verbieten. Weise aber darauf hin, dass die Zurückweisung des Verbotsantrages durch das Bundesverfassungsgericht der NPD eine ungeheure Öffentlichkeit verschafft hat – und entsprechenden Zulauf. Es war eine tolle PR-Kampagne für die Rechten. Wenn die Verbotsdebatte nur deswegen geführt wird, um die vielfältigen Begründungszusammenhänge weiter zu ignorieren, die uns das Anwachsen des Rechtsradikalismus gebracht hat, dann wäre ich entschieden dagegen.

Was ist zu tun? Hier haben die unterschiedlichen Initiativen sicher Bedeutung, wenn es darum geht, zivilgesellschaftlichen Wiederstand zu generieren. Das tun wir bei „Gesicht zeigen“ seit sechs Jahren. Und doch hat sich in dieser Zeit das Problem vervielfacht. Schon vor sechs Jahren hatte der leider verstorbene Bundespräsident Johannes Rau in einer Rede die mangelnden Integration der Einwanderer und auch die rechtsextreme Seite der gleichen Medaille beleuchtet. Er sagte damals, die Tatsache, das Neonazis von „national befreiten Zonen“ sprechen könnten, sei für jeden Patrioten beschämend und eine Herausforderung für den Rechtsstaat. Das ist jetzt sechs Jahre her, und seither ist die Ignoranz mancher Politiker und vieler Zeitgenossen nicht geringer geworden. Als ich vor der Fußball-Weltmeisterschaft sehr begründet vor „No-Go-Areas“ gewarnt habe, die es auch, aber nicht nur in Brandenburg gebe, brachen sich die üblichen Reflexe Bahn. Die reflexhafte Abwehr ungeliebter Wahrheiten, das Bagatellisieren eines offenkundigen und wachsenden Problems, das Ab-tun besonders schrecklicher Übergriffe als Einzelfälle: Es wäre schon mal das Erste, sich diesem Problem offen und ehrlich zu stellen.

Ein Beispiel in Frankfurt/Oder beschreibt eine Broschüre, die vom Mobilen Beratungsteam Brandenburg erarbeitet wurde: Dort kommt der Betriebsratsvorsitzende einer Feuerverzinkerei zu Wort. Er sagt: „Wir haben eine große Kundenbewegung. Auch ausländische Kollegen kommen auf den Hof. Die sollen sich hier sicher fühlen. Wir zeigen als Unternehmen nach außen klar Gesicht, was wir wollen und was nicht. Ein Subunternehmer, der sich nationalistisch und ausländerfeindlich gibt, antidemokratisch eben, der kriegt bei uns keinen Auftrag. Und würde hier einer in dieser Richtung Sprüche klopfen, nähmen wir das nicht hin!“ Zitat Ende. Dafür kann ein jeder auch in seinem Betrieb Sorge tragen. In diesem Fall ist es dem großartigen Mobilen Beratungsteam zu verdanken, das mit dem Projekt „tolerantes Brandenburg“ ins Leben gerufen wurde. In diesem Fall wurde ein kommunales Netzwerk gegründet, zu dem auch betriebliche Vereinbarungen gehören, die zumeist von den Betriebsräten in Gang gesetzt wurden. Diese Betriebsvereinbarungen wenden sich gegen jede Diskriminierung von Ausländern am Arbeitsplatz. Das eben zitierte Statement aus der Feuerverzinkerei ist Teil einer solchen Betriebsvereinbarung.

Genau diese Haltung brauchen wir vor allem: Nicht hinnehmen, was da aus dieser rechtsextremen Ecke bis in die Mitte der Gesellschaft dringt. Denn wir werden ja mehr Einwanderung brauchen und nicht weniger. Der demografische Wandel lässt keine Wahl. Hinzu kommt, dass unser Schulsystem der immer komplexer und bunter werdenden Gesellschaft nicht mehr gewachsen ist. Auch andere Länder haben diese Probleme, werden aber offensichtlich besser damit fertig. Die Pisa-Studie ist nur ein Indiz dafür, dass wir dringend eine Reform der Institution Schule brauchen, eingeschlossen Kindergarten und Vorschule. Andere Hinweise sind noch bedrohlicher. Statistiken sagen, dass etwa zehn bis fünfzehn Prozent eines jeden Schülerjahrganges ohne regulären Abschluss die Schule verlassen. Kommt noch ein Einwanderungshintergrund dazu, dann schnellt die Rate auf 40 bis 50 Prozent ohne Schulabschluss hoch. Bei einer Geburtenrate von noch gerade mal 650.000 Neugeborenen, sind das rund 65.000 junge Menschen, die schon am Anfang ihres Erwachsenenlebens vor den geschlossenen Türen der Gesellschaft stehen. Das denkbare Rekrutierungsfeld für Nazis und ihre Propaganda wächst. Zu glauben, dass alles sei mit dem Hinweis auf Hartz IV zu erklären, führt in die Irre. Die Schule muss sich ändern. Lehrer und Lehrerinnen müssen in der schulischen Praxis und an den Universitäten auf diese Wirklichkeit vorbereitet werden.

In den Kommunen muss zudem das Bewusstsein wachsen, dass Kinder und Heranwachsende Zuwendung brauchen, die sie auch in der Gesellschaft um sie herum spüren sollten. Hier vor allem ist eine nationale Kraftanstrengung notwendig. Die bereits verlorenen und sich entleerenden Räume in den neuen Ländern und in die städtischen Problemgebieten, in denen sich ein Milieu der Hoffnungslosigkeit und Armut verdichtet, müssen im Wortsinn für Demokratie zurückgewonnen werden. Wir brauchen dafür Geld, um es an der wichtigsten Stelle investieren zu können: in die Kinder. Bund und Länder, Kommunen und Wirtschaft und Kultur müssen dies als eine gemeinsame Anstrengung begreifen. Es muss Schluss damit sein, dass Jugendzentren geschlossen und Sozialarbeiter wegen Geldmangels entlassen werden.

Es hat vor allem also mit Bildung und Ausbildung zu tun. Ich bin oft an Schulen und diskutiere mit Schülern. Auch in Brandenburg. Ich erwähnte es bereits am Beginn meiner Bemerkungen. Hier, und in Vorpommern ist das nicht anders, lebt Fremdenhass ohne Fremde, wie es auch Antisemitismus ohne Juden gibt. Auch das hat Ursachen, manche lassen sich in der zurückliegenden Wirklichkeit der ehemaligen DDR finden. Antifaschismus war Staatsraison und wer dort lebte, war a priori moralisch den westdeutschen Imperialisten überlegen. Nazis gab es in der DDR-Propaganda nur jenseits der Mauer, dem antifaschistischen Schutzwall. In diesem Gefühl lebte es sich gut. Nur die Wirklichkeit folgte dem nicht. Denn schon zu DDR-Zeiten gab es eine rechtsradikale Jugendkultur. Ihre Untaten wurde in Geheimprozessen verhandelt, denn offiziell konnte es ja keine neuen Nazis geben im antifaschistischen Staat DDR. Auch dieses Defizit gilt es also zu beachten und damit ist endlich auf die Erwachsenenwelt zu sehen, die Kinder und Jugendliche heute zu Wiedergängern der Nazis erziehen. Bei all dem dürfen wir nicht vergessen, dass es hier nicht um eine spezifisch ostdeutsches Problem geht. NPD und DVU sind braune Sumpfblüten aus dem Westen, und sie fischen hier wie dort erfolgreich im Trüben.

Mir scheint, es gibt viele Ursachen für Ängste und Besorgnisse in der Gesellschaft. Der demografische Wandel ist eine Ursache, Angst vor Altersarmut eine andere. Zu früh aus dem Job geworfen zu werden und keinen Anschluss mehr zu bekommen, gehört ebenfalls dazu. Wie der Ausschluss von Bildung und Ausbildung. Wer Rechtsradikalismus bekämpfen will, muss wissen, dass dieses alles zu dem Ursachengeflecht gehört, mit dem wir es hier zu tun haben. Wer das ignoriert, verfehlt das Ziel.